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Aktueller Deutscher Experimentalfilm
(Recent German Experimental Film)
Programm Tod | death program
(curated by Michael Brynntrup)



Übrigens sterben - Filme zum Thema Tod
By the bye to die - films dealing with death
6 filme/videos | 102 min
"Übrigens sterben immer die Anderen.", dieser Satz von Marcel Duchamp führt auf sublime Weise vor Augen, worin die Schwierigkeit besteht, über den Tod zu sprechen. "Der Tod geht uns nichts an, - solange wir sind, ist der Tod noch nicht da; aber wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr." (Epikur). "Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht." (Ludwig Wittgenstein). Philosophen mußten jahrhundertelang darum kämpfen, das Thema Tod zu säkularisieren und vom Nebel der Metaphysik zu befreien.
Dennoch gehört das 'Memento Mori' auch in den Kanon einer praktischen Lebensphilosophie bzw zu einer Ethik, die sich als Gestaltunglehre zur praktischen Lebensführung definiert. "Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein." (Sigmund Freud). - Filmemacher sind in besonderer Weise dazu veranlagt, den diesseitigen Aspekt des Phänomens Tod einzufangen: die Arbeit mit der Kamera bedeutet, "dem Tod bei der Arbeit zuzusehen." (Jean Cocteau). [more]
(MB) [english]


Jörg Buttgereit
MEIN PAPI | MEIN PAPI
8 min | 1995 | 35mm (super8 + 16neg) | col | sound | Berlin

MEIN PAPI ist ein sehr kurzer Film mit Impressionen aus dem Heim der Familie Buttgereit, bei dem man den Eindruck nicht los wird, daß der Regisseur seinen Vater nicht unbedingt leiden kann. Nach dem Tod des Vaters hat Buttgereit den ursprünglichen Film (gedreht 1981) zu einem erinnernden Porträt neubearbeitet.

Jörg Buttgereit: 1963 in Berlin geboren, begann Jörg Buttgereit als 14-jähriger, mit einer Super8-Kamera Filme zu drehen. Er sieht sich selbst als Underground-Regisseur und Rebell gegen die Allmacht der Filmindustrie. Seit er mit seinen Filmen "NEKROmantik" (1987) für Aufsehen sorgte, gilt er als Horrorspezialist und Ekel-Provokateur. Kurzfilme seit 1981, Spielfilme und Dokumentationen seit 1984, Musik-Clips seit 1995, Fernsehen / TV-Dokus seit 1997, Hörspiele seit 2001.
Curtis Burz
Mark Morrisroe - Polaroids 1959-1989
10 min | 2002 | video (miniDV) | col | sound | Berlin

About Morrisroe: "Mark was an outlaw on every front-sexually, socially and artistically. He was marked by his dramatic and violent adolescence as a teenage prostitute with a deep distrust and a fierce sense of his uniqueness." - ""Morrisroe's life was, in the end, messy and anarchic."

Curtis Burz: born 1970. "The fascination with the unknown or the acquisition and literature gets me to tell old traditions in a new way like the brothers Grimm did formerly. Combining ancient, partially mysterious pictures, found textes and maybe a hint of memory, this compilation turns into a laboratory work about artistic biographys. - My work is based on different methods of acting, directing and the production of the stanislavski, wassily and grotowsky methods to which I had been conditioned."
Kerstin Cmelka
Mit mir | With Me
3 min | 2000 | 16mm | col | silent | (Österreich) Frankfurt

Eine Rolle Film wurde zweimal belichtet, wobei ich pro Filmdurchlauf jeweils eine im Bild agierende Person darstellte. Mithilfe einer einfachen Choreographie kontrollierte ich mehr oder weniger die Interaktion zwischen den beiden Figuren.

Kerstin Cmelka: geboren 1974 in Mödling, Niederösterreich. Seit 1999 Filmstudium an der Städelschule in Frankfurt am Main.
Kosit Juntaratip
When Kosit Went To Death | When Kosit Went To Death
27:20 min | 2000 | video (super16mm) | col | sound | (Thailand) Leipzig

"The truth is that Birth is Death, Death is Birth. The beginning is the End, the End is the Beginning." - Dhamma speech by Potiyantera (Cha Supattho) on the topic "The real home".

Kosit Juntaratip: born 1971 in Chiang Mai, 1994 B.F.A. in Painting, Faculty of Fine Arts, Chiang Mai University. 2000 (Post Graduate) Diplom in Media Arts Academy of Media Art, Cologne, Germany. 2002 Student in Photography and Media Arts (Aufbaustudium) Leipzig.
Bin-Chuen Choi
Old Choi's Film | Old Choi's Film
18 min | 2001 | video | col | sound | (Hong Kong) Berlin

Old Choi's Film dokumentiert die letzten sieben Wochen im Leben meines Vaters in Hong Kong. Schon immer hatte ich Aufnahmen von meinem Vater gemacht, wenn ich aus Berlin zu Besuch da war. Als ich dann erfuhr, daß er Krebs in fortgeschrittenem Stadium hatte, beschloss ich, ihn noch so viel wie möglich zu filmen. Während seines Aufenthalts im Krankenhaus fanden wir eine neue Wohnung für meinen Vater, damit er sich an einem hellen und ruhigen Ort erholen könne. Leider konnte er nur 10 Tage dort verbringen.

Bin-Chuen Choi: geboren 1967 in Hong Kong, 1992-99 Studium der Bildenden Kunst, HdK Berlin, 1999 Abschluß als Meisterschüler, seit 1999 Studium der Experimentelle Filmgestaltung an der UdK Berlin.
Andrea Schramm und Jana Matthes
DIE LETZTE REISE | DIE LETZTE REISE
35 min | 2002 | video (DigiBeta) | sw | sound | Berlin

Es sind die letzten Minuten im Leben von Charlotte Penno, als ihre Tochter ihre Hand streichelt und ihr Lieblingslied singt. Durch das Fenster dringt dumpf der Nachmittagslärm der großen Straße. Langsam tropft die Nährlösung durch den Schlauch in den Arm der alten Frau, die mit geschlossenen Augen in ihrem Bett liegt. Ihre Atemgeräusche werden unregelmäßiger, bis sie schließlich ganz verstummen. - Das Krankenzimmer ist der Ausgangsort einer Reise, die ein Mensch an diesem Tag antreten wird, einer Reise ohne jede Wiederkehr.

Andrea Schramm: geboren 1968 in Karl-Marx-Stadt, Volontariat beim Fernsehen der DDR, Studium der Fernsehjournalistik in Leipzig, Zusatzstudium des Dokumentarfilms in Potsdam-Babelsberg, seit 1990 Arbeit als Filmemacherin für ARD und ZDF.
Jana Matthes: geboren 1966 in Ost-Berlin, Studium Dokumentarfilm in Potsdam- Babelsberg und der TV-Journalistik in Leipzig; seit 1990 freischaffende Arbeit als Filmemacherin für ZDF und ARD.
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english translation will follow
(MB)




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Das Thema Tod gehört auch heute noch zu den großen Tabus unserer Gesellschaft. Auch wenn Bilder von Verkehrstoten und zB Erdbebenopfern die Nachrichtensendungen füllen und auch wenn der Unterhaltungskommerz von der Kinoleinwand bis zur Spielekonsole den Tod allgegenwärtig macht, - die persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema ist verstellt: der Tod wird in Zahlen abstrahiert, in die Ferne verdrängt oder als Nervenkitzel konsumiert. Der Tod wird nicht als ein Phänomen des Lebens dargestellt, nicht als normal, alltäglich und unvermeidbar, sondern als eine Ausnahmesituation, die einen persönlich nicht betrifft.

Alle Filme dieses Programms nähern sich dem Thema von einer betont subjektiven Position. Die FilmemacherInnen nehmen ihr persönliches Erfahren und Erleben zum Ausgangspunkt der Betrachtungen. Teils dokumentieren sie das Sterben bzw den Tod eines Angehörigen, teils inscenieren sie sich selbst in einer Vorwegnahme ihres eigenen Todes. Selbst wenn eine emotionslos-nüchterne Perspektive der Beobachtung gewählt wird, immer richtet sich das Augenmerk auf einen jeweils singulären, auf den individuellen Tod.

Das (gesellschaftliche) Tabu erlaubt nicht, den Tod individuell und im besonderen Fall eben als den eigenen zu begreifen. Denn würde der Tod individuell begriffen und der eigene Tod individuell antizipiert, dann müßte auch das Leben als das eigene gelebt werden. Darum sterben auch heute noch - immer nur die Anderen (sagt uns Marcel Duchamp, - übrigens auf seinem Grabstein).

(MB)