Michael Brynntrup's

KINO VON UNTEN
(Off-Off-Kino-Kultur)


(TEIL 1)

'Kinos von unten' sind der Ort, wo 'Untergrund' und 'Basis' zusammentreffen; das Zusammentreffen findet nicht im Dunkeln statt. In aIIer Öffentlichkeit, meist aber doch nur in der Gegenöffentlichkeit, konspirieren Underground und Basisbewegte gegen das Kommerzkalkül und die Kulturkonzepte von oben. Die Verschwörung richtet sich gegen den Kommerz, d.h. gegen den Film als Ware und gegen das Kino als Konsum, aber auch gegen die Klientelkultur staatsöffentlicher Förderungen, gegen den Klüngel bildungsbeauftragter 'Macher' und gegen das Klischee des 'mündigen Bürgers'. Die Konspiration, das Zusammentreffen in den Kinos von unten ist unmittelbarer, nicht 'verdunkelt' durch kommerzielle Vorprogramme oder vorprogrammierte Konzepte. Konzeptionslos verwirklichen die Kinos ihr Konzept: sie verbinden das denkbar persönlichste Kino mit einem extrem kollektiven. Die Kinos von unten bilden damit eine 'Plattform' für ein 'Forum' kurz: den Untergrund für die Basis oder die Basis für den Untergrund.

Momentaufnahmen

Natürlich ist es gewagt, die vielen, verschiedenen Abspielinitiativen wie sie in der Serie jede für sich und eine nach der anderen beschrieben worden sind, abschließend einer zusammenfassenden Bemerkung zu unterwerfen, ja sie überhaupt als einheitliches Phänomen mit dem Titel 'Kinos von unten' zu betrachten. Eine solche Betrachtung, notwendig von einem 'Standpunkt' aufgenommen, muß aber bei der Vielfalt des 'Gegenstandes' einsetzen: Die Vielfalt, d.h. die Vielzahl und die Verschiedenartigkeit der Kinoinitiativen ist nur in einer Großstadt wie Berlin möglich; je größer die Großstadt, desto differenzierter das Publikum, desto differenzierter auch die Initiativen. Darin liegt der Unterschied zu den Kommerzkinos, die das Großtstadtpublikum - statt möglichst zu differenzieren - einheitlich als 'Masse' in ihren Konsumbetrieben ausbeuten möchten.

Aber auch zu den kulturpolitisch subventionierten, zu den kommunalen und zu den Programmkinos, den sogenannten alternativen Kinoformen, besteht ein Unterschied, und dieser Unterschied ist der eigentlich Bestimmende, um überhaupt von einer Besonderheit der Kinos von unten sprechen zu können. - Bei aller Vielfalt der einzelnen Momente und bei aller Besonderheit des Gegenstandes kann diese Betrachtung natürlich nicht mehr sein, als ein 'Stand'bild, eine 'Moment'aufnahme.

Filmtheater

Kinomachen hat Tradition. Bereits in der Mitte des 17.Jahrhunderts begann das (doitsche) Lichtspielthum, und zwar so: riesenhafte Schatten bewegten sich auf den frühesten Leinwänden. Mit Honig (!) wurde z.B. eine Biene auf eine Glasscheibe geklebt, Kerzen durchleuchteten die Scene und auf der Wand entstand ein erstes, 'lebendes' Bild: die Biene zappelte und die Zuschauer gerieten in Panik. Panik war das Erfolgsrezept, Illusion das große Geschäft; diese Tradition setzt sich fort, auch nachdem aus Schattenspielen Lichtspiele geworden sind. Bis zu den Kinos von unten war es noch weit.

Nach den Anfängen als Jahrmarktsattraktion und 'Volksbelustigung' bemühte sich das junge Kinomedium angestrengt um seine Aufwertung. Die Bretterbuden wurden verlassen und 'feste Häuser' bezogen. Pubertierend glich sich das Kino immer mehr dem Theater an: Satindrapierungen, Damastbespannungen, Rampenlicht und Bühnenvorhang, bis zum Ballhausprunk und "Oberflächenglanz" der 20er Jahre mit Kristallüstern, Logen und Stuck. Die architektonische Würde der Fassaden täuschte die Nobilität eines oberen Kulturinstitutes nur vor, dahinter war der "Massengeschmack" fest installiert. Die "Paläste der Zerstreuung als revueartiges "Gesamtkunstwerk der Effekte" dienten einzig dem reaktionären Zweck, "das Publikum an die Peripherie zu fesseln". (Kracauer, 'Kult der Zerstreuung', 1926).

Kommerzkino - Supermarkt

Die wesentlichste Veränderung nach dem zweiten Weltkrieg war für die Kinowirtschaft die Verbreitung des Fernsehens. Daneben verloren die Kinos an Image, weil der Starruhm verblaßte und nur noch Konfektionsfilme produziert wurden. Die Folge dieser Entwicklung war das große Kinosterben (von 7085 in 1959 auf 3140 in1977), außerdem die Konzentration zu Abspielketten und die MonopoIisierung der Erstaufführungskinos. Als besonders lukrativ erwies sich (auf Empfehlung der sog. 'Dichter-Studie' über die Publikumseinstellung gegenüber den Kinos - im Auftrag der Filmförderungsanstalt) die Idee der Kino- und Vergnügungscenter: die Kinos wurden zerteilt in 'Schachteln' oder ausgebaut zu 'Supermärkten der Unterhaltung' mit Bowlingbahnen und Boutiquen. Dieses Konzept sollte das neuentwickelte Freizeitbedürfnis nach "Eigenaktivität und gestaIterischer Produktivität" des Publikums berücksichtigen, bot und bietet aber offensichtlich nur die Möglichkeit von 'Selbstbedienung' im Rahmen eines Disneylandangebotes.

Massenwirksamkeit

Die Filme werden nicht mehr von diesen "Kinos" selbständig ausgesucht, sondern nur noch zugeteilt, bzw. die größten Kinos und Kinoketten definieren, was ein Film ist, d.h. was und vor allem wie gezeigt werden darf. "Massenwirksamkeit" bleibt einziges Definitions- und Auswahlkriterium und hervorstehendste Konstante in der Kalkulation des Kinomanagements.

Kommerz und Masse durchs glatte Funktionieren gegenseitiger Selbstbestätigung aufeinander eingeschworen: der Kommerz bestätigt den "Massengeschmack" und die Masse den Status Quo. Für das Kommerzkino als "Massenmedium" gilt ebenso, was Adorno bereits 1953 für das Fernsehen angekündigte "Vermutlich macht das Fernsehen sie (die Zuschauer) nochmals zu dem, was sie ohnehin sind, nur noch mehr so, als sie es ohnehin sind. Das entspräche der wirtschaftlich begründeten Gesamttendenz der gegenwärtigen Gesellschaft, in ihren Bewußtseinsformen nicht länger über sich selber, den Status Quo hinauszugehen, sondern diesen unablässig zu bekräftigen." (Prolog zum Fernsehen).

Konzeptkino - Bibliothek

"Bewußtseinsveränderung" wurde denn mit dem Ende der 60er Jahre als alternatives Kinokonzept propagiert; das neue Konzept sollte eine Antwort sein auf die Entwicklung bzw. den "Zustand" des Kommerzkinobetriebes. Die alternativen Kinoformen reichen in dem sehr differenzierten Spektrum von den 0ff- und Programmkinos über Filmforen und kommunale Spielstellen bis zu Cinematheken und Kinomuseen. Die einen, wirtschaftlich selbständig arbeitenden Kinos blieben letztlich in der Tradition der Filmkunstbühnen: das Programm sollte zwar nach "bewußtseinspolitischen" Gesichtspunkten "profiliert" sein, mußte aber unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten "profitabel" bleiben. Vor dem Kommerzdruck bedingungslos kapituliert und selbst Kinoketten geschmiedet zu haben, ist denn auch der Hauptvorwurf der Kinos von unten gegen die Offkinos (Zu Beginn der Serie wurde darüber ausführlicher berichtet). Die anderen, alternativen Spielstellen konnten mit öffentlichen Subventionen "rechnen".

Publikumsorientierung

Dementsprechend ergibt sich das alternative Programm dieser Kinos nicht aus "Konzessionen an den Publikumsgeschmack", sondern vorrangig aus didaktischen Überlegungen: Kulturpolitik ist Bildungspolitik. Diese Kinos betonen vor allem ihre medienpädagogische Aufgabe: eingeübte Sehweisen in Frage zu stellen, die Filmsprache und -syntax zu lehren, um damit die Erkenntnisfähigkeit und das kritische Bewußtsein des Publikums zu fördern. Der immaterielle Gebrauchswert des Films als künstlerisches und informatives Medium steht hier im Vordergrund. Ihrer Konzeption nach wollen diese Kinos eine soziale Funktion erfüllen; tendenziell entwickeln sie sich zu audiovisuellen Informations- und Kommunikationszentren mit angeschlossenen Mediatheken, Cafeterien und Büchereien und veranstalteten Workshops und Artlabs. Eine solche Konzeptionierung und Dimensionierung scheint aber am Publikum und dessen "Bewußtsein" vorbeizuzielen; die Masse hat kein Interesse an historischem Bildungsgut und wird durch Emanzipationsdidaktik nicht angesprochen, der Einzelne wird durch den Apparat erdrückt und vereinsamt (als Klient) in den Solokabinen der Sprach- und Medienlabore.

Sowohl die Off- wie auch die subventionierten Kinos sind mit dem Anspruch angetreten, die Interessen des Publikums wahrzunehmen: einem differenzierten Publikum boten sie ein differenziertes Programm. Das ursprünglich oberste Anliegen - Kommunikation (und dadurch Bewußtseinsveränderung) - konnte nur partiell erreicht werden und wich schließlich dem gegenwärtigen Alltagstrott dieser Kinos.

Den steigenden Kommerzdruck bzw. die Resignation oder das natürliche Altern der Betreiber dafür verantwortlich zu machen oder zu behaupten, das Anliegen sei zu hoch angesetzt und das Publikum sei noch nicht "reif" bzw. wolle einfach diese anderen Aktivitäten und aktiven Veränderungen nicht, ist voreilige Rechtfertigung des Scheiterns und bleibt ebenso wie der Trost mit dem partiell schon Erreichten und der Appell an die Geduld, dem Gegenwärtigen und dem Herkömmlichen affirmativ verhaftet. Vielleicht ist das "oberste Anliegen" deswegen so heruntergekommen, weil es von oben (zumindest aus dem Kopf) konzipiert und so auch ausgeführt wurde. Die Kinos von unten kehren das Oberste zu unterst, die Konzeption von oben wird durch Aktivitäten von unten ersetzt.


(TEIL 2)

Nicht - nur - Kino - Konzept

Konzeptionslosigkeit ist den Kinos von unten nicht vorzuhalten, sie ist ihnen zugute zu halten. Die Empfehlung an die Kommerzkinos und die Tendenz der Konzeptkinos (vgl. 1.TeiI) verwirklicht das Kino von unten auf seine Weise: nicht aIs Vergnügungscenter und nicht als audiovisuelles Kommunikationszentrum. Die Kinos von unten stehen und bewegen sich in anderen Zusammenhängen, die weniger Zentralcharakter haben und noch weniger vorstrukturiert sind.

Diese Zusammenhänge ergeben sich oft aus Zufälligkeiten: vielleicht wird der Raum mit Theater-, Musik- oder politischen Gruppen gemeinsam benutzt, oder die Zusammenhänge entstehen zunächst nur aufgrund terminlicher Absprachen mit anderen Veranstaltern in Kieznachbarschaft; manchmal bedeuten solche Zusammenhänge sogar Teil der wirtschaftlichen Grundlage der Kinos, wenn z.B. das finanzielle Risiko über die Gesamtkasse eines Kulturzentrums abgesichert wird. Daß diese eher äußeren Zusammenhänge aber nicht nur äußerlich bleiben, zeigen z.B. die Kino in besetzten Häusern, bei denen rein äußerlich der finanzielle Mietdruck entfällt, deren wesentlicher Zusammenhang aber die personale Verflechtung von Wohnen und Kino/Leben und Arbeiten darstellt und natürlich dementsprechend inhaltlich bestimmt ist.

Nicht - nur Kino - Programm

Die Programmarbeit macht aus diesen zunächst äußeren (zufälligen oder wirtschaftlich notwendigen) Zusammenhängen innere und inhaltliche Zusammenhänge, die dann bewußte Absicht sind. Es liegt nahe, daß z.B. die Kinos in besetzten Häusern vor allem die Filme zeigen (ob Dokumentationen, Videowochenschauen oder Spielfilme), die in und aus der Hausbesetzerscene entstanden sind. Unwillkürlich werden die Programme um solche Filme erweitert, die auch andere Problematiken aufgreifen. Immer jedoch ist Auswahlkriterium für einen Film, daß er den Zuschauern die Möglichkeit bietet, zu seinem Inhalt Stellung zu nehmen eben dadurch, daß er mit den Zuschauern und ihrer Situation in möglichst unmittelbarem, aber nicht unbedingt dokumentarisch- direktem Zusammenhang steht. Da es viele solcher Filme gibt, werden nicht einzelne, wie in den Offkinos, als Dauerbrenner und Kassenschlager wirtschaftlich ausgelutscht, sondern höchstens zweimal gezeigt. Besteht dann immer noch ein Interesse des Publikums, so werden sie an die anderen Kinos von unten weitergegeben. (Übrigens ermöglicht dieses Prinzip, daß die unabhängigen Filme, die ja meist nur in einer Kopie vorhanden sind, in kürzester Zeit möglichst vielen Leuten zugänglich gemacht werden können).

Die Programme der Kinos von unten finden meist in Reihenform statt: Dokumentar- und Spielfilme zur Ausländer-, Frauen-, Schwulen- und Jugendproblematik, über Faschismus, Frieden, Libanon, Lateinamerika oder ganz konkret zum 22.9. oder 11.6.. Während diese Reihen die inhaltlichen Aspekte und die zusammenhängenden Inhalte der Filme betonen, gibt es auch solche Reihen, die den Film als Film, als künstlerisches und informatives Medium in (s)einen Zusammenhang stellen (z.B. Genre-Serien, Regisseur- Zyklen oder Schauspieler- Portraits). Doch derartig filmhistorische und medienkundliche Reihen sind in den Kinos von unten selten. Genrefestivals gar, wie z.B. das Fantastival der Offkinos, sind dort unvorstellbar.

Atmosphäre, das konzeptionslose Konzept

Das Besondere und das Neue der Kinos von unten ist deren eigene Atmosphäre. 'Atmosphäre' - in einem umfassenden Sinne - meint nicht nur die gerade erwähnten Zusammenhänge (im Kiez, im besetzten Haus, im Kulturzentrum) oder die besonderen Zusammenhänge bei der inhaltlichen Programmgestaltung, sondem vor allem das spezifische, originelle Beteiligtsein der Kinoleute, Filmemacher und des Publikums, und insbesondere auch die einzigartigen Räumlichkeiten der Kinos von unten.

Die Kinos von unten sind in verschiedener Hinsicht extrem persönliche Kinos, und zugleich - weil es sich gegenseitig bedingt - extrem kollektiv. Untergrund und Basis durchdringen sich nicht dort, wo Ware und Konsument, Macher und Masse, Produzent und Publikum strikt getrennt, zweidimensional und zusammenhanglos aufeinanderstoßen, sondern hier, wo alle Beteiligten persönlich und d.h. gleichberechtigt im Kinozusammenhang 'zusammenhängen'. - Die gegenwärtige Entwicklung der Kinos von unten müßte bei dem Zusammenhang von persönlichem und kollektivem Kino einsetzen. Dieser Zusammenhang ist denn auch das konzeptionslose Konzept der Kinos von unten.

Persönlich

Die Kinoleute verbinden die verschiedensten Interessen mit ihrer, im übrigen sehr aufwendigen, zeitintensiven Arbeit in den Kinos von unten. Daß diese Interessen oft sehr persönlich sind, heißt nicht, daß sie privat sind wie Profitinteressen, mindert auch nicht die Tatsache, daß die Kinos aufgrund dieser persönlichen Interessen erst möglich sind. Neben dem ideellen Einsatz ist oft noch ein finanzieller notwendig (z.B. Projektorkauf); für ein kontinuierliches Programm ist darüberhinaus fundiertes Filmwissen, gute Kontakte und stets aktuelle Information erforderlich. Die Leute sind deshalb (natürlich verschieden gewichtet) cinephil wie medienkundig wie - ihrem Anspruch nach - politisch aktiv. Nur wenige sind berufstätig und betrachten ihre Initiativen als Feierabendaktivität. Die meisten Kinoleute sind 'unter dreißig', und 'persönlich motiviert': viele filmen selbst, haben Pläne zu einem Filmprojekt oder wollen 'später mal' in diesem Film- oder Kinobereich ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Arbeit in den Kinos von unten ist deswegen aber nicht schon 'Einstieg' auf 'unterster Ebene' oder Sprungbrett zu persönlichen Karrieren. Die Zukunft der Kinos hängt ganz wesentlich vom Interesse der Kinoleute ab, d.h. von der Frage, inwieweit sie sich im Rahmen eines Kinos selbst verwirklichen können. Das Kinoprogramm als Selbstdarstellung oder die Freundschaften im Kollektiv der Kinoleute reichen vielleicht nicht für eine langfristige Kontinuität der Kinos. Entscheidend ist, inwieweit die Kinoleute die Extrema von Selbstausbeutung und Kommerzdruck bzw. ihre persönlichen Erwartungen mit ihren kollektiven Erfahrungen in einem Zusammenhang sehen können. Nicht Standhaftigkeit und Treueschwüre sind für die Zukunft der Kinos gefordert, sondem die Erkenntnis des Besonderen und Neuen an den Kinos von unten, und damit das Bewußtsein ihrer Notwendigkeit.

Exkurs: Kommerz - Zukunft - Unabhängigkeit

(Übrigens liegt die 'wesentliche Besonderheit' der Kinos von unten - wie angedeutet - nicht darin, nicht-kommerziell zu sein; die Nichtkommerzialität haben sie ja mit den subventionierten Kommunalen und Konzeptkinos gemeinsam. Die Skepsis gegenüber staatlichen Subventionen und damit verbundenen Direktiven besteht bei den Kinos von unten ebenso wie die Befürchtungen gegenüber den Drohungen der doitschen Bureaukratie in Form von Verordnungen der Bauaufsicht und Feuerpolizei, Gebührenordnungen für Gewerbe- und Vergnügungssteuer und Jugendschutzbestimmungen. Statt solcher Reglementierung:

wenn die Kinos von unten mit ihrer 'wirklich-wesentlichen Besonderheit' (ihrer Atmosphäre) überdauern und die Kinoleute nicht dauernd wechseln sollen (zwischen Unterhaltserwerb und Feierabendkino bzw. karrierebedingt), dann ist die Frage nach einer 'Kommerzialisierung' genauso dringlich, wie die Existenz der Kinos.)

Die unabhängigen Filmemacher haben eigentlich ein sehr großes Interesse an der Existenz solch-unabhängiger Abspielstellen, deren Programme nicht von Kommerzinteresse und Bildungsaufträgen diktiert werden. Die Notwendigkeit der Kinos von unten ist deswegen besonders denjenigen Filmemachern bewußt, die den Distributionskommerz (Verleihe) umgehen wollen und oft mit dem Filmoriginal selbst auf Tournee gehen, die vor allem noch an einem Feedback, an einer unmittelbaren Resonanz interessiert sind. In den Kinos von unten (in dieser Hinsicht auch 'Autorenkino' genannt) sind die Filmemacher 'persönlich' anwesend; Diskussionen mit ihnen sollen noch tiefere Zusammenhänge im und um den Film klären.

Untergrund

Bei der Untergrund-Atmosphäre in den Kinos von unten, wo viele unabhängige Filmemacher zum Publikum zählen, entwickeln sich solche Diskussionen manchmal sogar zu einem Erfahrungsaustausch unter Gleichinteressierten. Aber es finden vor allem Diskussionen

mit Betroffenen bestimmter Thematiken statt; die 'Betroffenheit' auch des Publikums soll nicht zusammenhanglos bleiben. Der Untergrund der engagierten Filmemacher und auch der Underground der Experimental- und Kunstfilmer finden in den unabhängigen, und darum für jeden offenen Kinos von unten nicht nur eine Plattform, eine Abspielmöglichkeit, sondern auch ein Forum, ein besonders interessiertes, selbst engagiertes Publikum.

Ob dem unabhängigen Film durch den besonderen Abspielort ein neues Publikum erschlossen wurde, ließe sich schon mit dem Hinweis auf den geringen Eintrittspreis bejahen, - die nur 1-3 DM überreden viele zu solch-einem un(ab)schätzbaren Filmabend. Noch zuvor bekommt der Film in den Kinos von unten (s)eine Chance als Kommunikationsmittel.

Kollektiv

Daß Film ein kollektives Medium ist, gilt als selbstverständlich, und doch entscheidet darüber erst der jeweilige Zusammenhang von Film und Publikum im Kino. Darum ist die Frage, wie dieser Zusammenhang in den Kinos von unten gestaltet ist, viel bedeutsamer als die Frage, wer die Kinos besucht, ob eine möglichst breite Masse, ob intellektuelle Zirkel oder die "Basis" (als Kiez, Stadtteil, Studentenscene, Besetzerbewegung oder in Form von Zielgruppen).

Das Axiom der Massenwirksamkeit in den Kommerzkinos macht das Publikum zur Kosumkundschaft; das Axiom der Publikumsorientierung in den bildungsbeauftragten Konzeptkinos macht das Publikum zur Klientel. Das vielleicht für die Kinos von unten bestehende Axiom des kollektiven Zusammenhangs erlaubt gerade keine Knebelung des Publikums an der "Peripherie", keine Fixierung auf die eindimensionalen Rollen des unmündigen Konsumenten oder des bevormundeten Klienten. Wichtig sind in den Kinos von unten die unmittelbaren und spontanen Reaktionen auf die Inhalte der Filme. Daß gebuht, kommentiert oder abschließend diskutiert wird, liegt wesentlich an der Atmosphäre in den Kinos von unten, die dem Publikum mehr persönliches Beteiligtsein, mehr "Selbstbewußtsein" gibt. (Wenn auch nur die Möglichkeit besteht, Bierdosen an die Weiße Wand zu werfen oder anschließend im Kino zu bleiben und nicht wegen einer Spätvorstellung den Raum verlassen zu müssen.)

Basis

Film ist in den Kinos von unten wieder kollektiv erlebbar; je mehr Videorecorder in den Wohnzimmer stehen, desto notwendiger werden die Kinos von unten in den Straßen. Vor allem ist der basisnahe Kontakt mit Filmemachern der Super8-, 16mm-Kurzfilm-, Video-, der Dokumentar- und No-Budget-Scene, und der unmittelbare Kontakt mit sog. Betroffenen Anregung an das Publikum, selbst aktiv zu werden, vielleicht selbst Filme zu produzieren. Solche Anregungen zu konkreter Selbstverwirklichung und auch die Mobilisation zu politischem Selbstbewußtsein (z.B. vorbereitend und informierend zur Volkszählung oder zum 11.6.) sind nur im atmosphärischen Zusammenhang der Kinos von unten möglich.

Der Raum

Die Kollektivität, die Atmosphäre in den Kinos von unten ist ganz wesentlich von deren besonderen Räumen geprägt. So scheinbar- selbstverständliche Attribute eines Kinos wie z.B. Verdunkelung und feste Bestuhlung sind in den Kinos von unten grundsätzlich anders aufgefaßt.

Durch den Dimmer in den herkömmiichen Kinos soll das Publikum möglichst schonend in eine andere Realität, eben in die des Films versetzt werden. Dahinter steht natürlich die Meinung, künstlerische und reale Wirklichkeit seien derart verschieden, daß -um Film wirksam zu machen- der Übergang möglichst sanft sein müsse; Film als (be)trügerische Illusion. Mit dem Dimmer wird die Verdunkelung zum Unterdruck, worin das Publikum sein Gewicht verliert und bereit wird, seine Identität an den Film abzutreten. Solchen "Unterdruck" wirkt die "Atmosphäre" der Kinos von unten "ausdrücklich" entgegen, wenn es z.B. heißt: "Kann mal einer das Licht ausmachen?"

Ähnlich "illusionierend" wie der Dimmer soll auch die feste, gepolsterte Bestuhlung in den herkömmlichen Kinos wirken, - das Publikum soll sich ganz auf den Film einlassen bzw. konzentrieren. Natürlich ist eine bequeme Sitzgelegenheit (und eine Raumventilation) angenehm und auch in den Kinos von unten gewünscht, aber nicht, um die "niederen Sinne" (die "Gesäß"- und Geruchsempfindungen) möglichst auszuschalten, und die "leibliche Losgelöstheit" möglichst zu erhöhen für ein sanftes Entschweben ins Reich der Illusionen, sondern um sich wohlzufühlen...

...im Kino...

...(für die reale Perspektive hier unten, wo es drückt und zum Himmel stinkt). Ein Kino von unten will eben kein "lllusionstheater" und eben auch kein "unsichtbares Kino", keine "Maschine für das Ansehen von Filmen" sein wie es ein frühes new-yorker Konzeptkino, das Anthology Film Archives, in seinem "Manifest" (1971) von sich verlangte.

Die Kinos von unten dagegen haben sich selbst als Kinoraum akzeptiert bzw. entdeckt. Nicht werden Publikum und Film zweidimensional gegeneinandergesetzt, keine fixen Reihen und Ränge richten sich stur und steif gen Leinwand. Die Bestuhlung ist nicht fest installiert, oft wird sie zusammengerückt für eine Diskussionsrunde oder weggeräumt z.B. für "Filme" aus dem Underground (Expanded Cinema, Mehrfachprojektionen, Filmaktionen) für Ausstellungen, Solidaritätsfeten, Benefizkonzerte. Manchmal finden in diesem "plastischen Kino" auch Vorführungen in Form von Filmcafes statt, dann sitzt das Publikum um Tische und eigentlich sich selbst gegenüber. In solch kleinen (Tisch-)Gruppen kommen viel unmittelbarer Gespräche und Diskussionen zuwege, als z.B. mit seinem Sitznachbarn in einer Zuschauerreihe.

Es gibt bestimmt noch viel zu fragen und zu sagen über die Kinos von unten, aber was diese erste Momentaufnahme vielleicht gezeigt hat, ist, daß die Improvisationen der Kinos von unten nicht schon deren Minderwertigkeit (d.h. eigentlich: deren prinzipielle Gleichheit mit den herkömmlichen Kinos) bedeuten. Daß die Kinos von unten neben den Kommerz- und Konzept-Kinos eine ganz neue, ganz besondere und ganz eigenständige Kinoform sind, zeigt deren konzeptionsloses Konzept, die extrem persönliche und gleichzeitig extrem kollektive Atmosphäre. Ob die Kinos von unten neben ihrer besonderen "Atmosphäre" auch "Zukunft" haben, konnte nicht diese Momentaufnahme, sondern wird erst die Zukunft zeigen.

(die tageszeitung, Berlin, 21.04.+28.04.83 - Michael Brynntrup)


(veröffentlicht in: »KINO VON UNTEN «, Broschüre zur OffOff-Kino-Kultur in Berlin mit Selbstdarstellungen der Kinos, Selbstverlag mit Unterstützung der Stiftung Deutsche Kinemathek, 1. Auflage: 500, Berlin 01/1984 [u.a. mit der Artikelserie aus: 'die tageszeitung', 01/83-07/83])