Michael Brynntrup's

ALLE MACHT DER SUPER ACHT?
(Alle Acht der Super Macht!)


Super8 ist kein Format, sondern eine Lebensauffassung. Aktuell und jede Woche neu berichten nur die Kleinanzeigen von der gegenwärtigen Entwicklung bei der Super8: "Umsteiger auf Video verkauft komplette Super8-Ausrüstung, preiswert". Amateurmarkt und Filmindustrie zeigen kein Interesse mehr an der Super8. Etwas Positives hat aber diese Entwicklung: wenn Super8 keinen Wert mehr als Ware und Massenprodukt besitzt, verschwindet damit vielleicht auch das Vorurteil vom Amateurformat und Super8 als Film bekommt die Beachtung, die sie verdient.

Fünfzehn Prozent der deutschen Haushalte besitzen eine Super8 -Kamera, anders ausgedrückt: Fünfzehn Prozent aller deutschen Kleinkinder, Haustiere und Gartenzwerge finden sich auf ZeIluloid verewigt. Das bestimmt das Bild der Super8. Obwohl die Super8 eben als Schmalspur-Familienfilm verschrien ist (Danke auch an »Deutschland privat«) entdecken doch viele (Film-) Künstler, oder solche, die es werden wollen, aber auch schon in größeren Formaten renomierte Filmemacher die Super8 als ihr Ausdrucksmedium. Die Gründe liegen auf der Hand. Super8 ist (sogar im Vergleich mit Video) das einzige Medium lebender Bilder, mit dem sich wirklich unabhängig und das heißt vor allem spontan produzieren läßt. Das Material ist auch nach den Einbußen im Massenabsatz noch preiswert, und die Kameras sind technisch ausgereift und vor allem handlich.

Als die Super8 gerade ihr fünfjähriges Jubiläum feierte (1970), war aber der Traum vom kommerziellen Super8-Film schon ausgeträumt; professionelle Technik erwies sich bei Super8 nahezu gleichteuer wie beim 16mm-Film. Vlado Kristl kam zu dem Schluß, daß Super8 nur dann interessant (gleich billig) bleibt, "wenn es auch weiterhin als unakzeptables Produkt dasteht. Als etwas Nichteingliederungsfähiges, das für immer sich kritisch zur Herstellung befindet". Unakzeptabel im Sinne von kritisch ist die Super8 aber nicht nur, weil sie unprofessionell und billig, also unabhängig arbeitet, sondern weil sie sich als Schmalspur außerhalb der Profession angesiedelt, breitgemacht hat.

Die 'authentische Super8', die in diesem Format auch vorgeführt werden will (Ulrich Gregor) und nicht einem kreditarmen Filmemacher nur als Notbehelf dient, mußte erst auf den sogenannten Boom von 1982/83 warten. Die ökologisch-basisnahen Themen wie Hausbesetzungen und das radikale, schneller Leben-Gefühl jener Jahre verlangten ein spontanes Ausdrucksmedium, das sofort und für jeden zugänglich war. Gefilmt wurde, was nahe und am Herzen lag; entstanden sind flugblattähnliche 'Bewegungsfilme' und von Punk und Wave inspirierte 'wilde Bilder', aber auch Mal-, Musik- und Multimedia-Filmaktionen, die sich allesamt mit den herkömmlichen Kategorien von Dokumentar- und Experimentalfilmen nicht fassen ließen. Kaum ein Film dieser Zeit ist länger als zwanzig Minuten, die meisten unter zehn.

Gezeigt wurden die Filme fast immer von den Machern selbst außerhalb der Kinos in Kneipen, Hinterhöfen, auf Versammlungen oder auf Festen, Freilichtbühnen, in Nachtcafés. Der Drang in die Öffentlichkeit war groß, doch über die jeweilige Scene hinaus hatten die Filme keine Wirkung, dafür vermittelte die Stimmung bei solchen Vorführungen allerdings das erhabene Gefühl von Subversion und Underground, z.T. mit anschließender Diskussion.

Für den Herbst '82 organisierten Filmemacher aus drei Berliner Super8-Gruppen ('Gib-8'-Kino, 'Gegenlicht'-Verleih, 'u.v.a.'-Gruppe) das 1. Internationale Super8-Filmfest in Berlin. Ohne Förderung, d.h. unabhängig und auf eigenes Risiko durchgeführt, entsprach das Festival noch ganz der Euphorie dieser Zeit. Neben dem Internationalen Forum in Berlin, das kontinuierlich Super8-Filmkunst zeigte, wurden jetzt erstmals auch auf die Festivals von Oberhausen und Mannheim Super8-Filme zugelassen. Aber erst die do-it-yourself-Aktionen der Super8-Scene wie die Tournee 'Alle Macht der Super8', der Trailerfilm »Über Nacht berühmt«, oder die diversen Super8-Festivals in Weiterstadt, Bonn und eben Berlin signalisierten den Boom der Super8.

Die Presse und das Fernsehen reagierten bald mit ungewohnter Aufmerksamkeit auf das 'Schmalspurformat'. Die Filmbüros von Hamburg und Nordrhein-Westfalen fördern heute Super8 beinahe gleichrangig neben den großen Formaten, und das Kleine Fernsehspiel des ZDF hat bereits mehrere Filme auf Super8 produziert.

Super8 wird nicht mehr nur von den Berliner Off-Off-Kinos und überregional von studentischen Abspielinitiativen oder in Jugendzentren gezeigt, sondern gehört inzwischen zum festen Programm in fast allen kommunalen Kinos. Längere Filme -in Super8 projiziert- haben auch schon den (Ab-)Sprung ins große (Off-)Kino geschafft, allerdings nur mit sehr mäßigem kommerziellem Erfolg. Originär und wirklich spannend bleiben Super8-Vorführungen, wenn sie als einmalige Aktionen (meist in Anwesenheit der Filmemacher oder multimedial erweitert) Livecharakter und Konzertatmosphäre besitzen. Verschiedene, manchmal sehr verschiedene Filme werden immer wieder zu einem Paket zusammengestellt und oft machen solche Pakete eine Tournee durch die Lande wie jetzt auch das Auswahlprogramm des jüngsten Super8-Festivals 'Interfilm 3'.

Die Möglichkeiten, mit Super8 an die Öffentlichkeit zu treten, sind also groß, wenn die Filmemacher die Projektion selbst in die Hand nehmen; die Chancen dagegen, Super8 kommerziell zu vertreiben jedoch gering. Das Problem dabei ist eigentlich nicht mehr technischer Art: lichtstarke S8-Projektoren besitzen inzwischen die gleiche Leistung wie l6mm-Projektoren, jedes größere Kino kann sich einen solchen Projektor besorgen. Das wirkliche Distributionsproblem der Super8-Filme ist das gleiche wie für jeden anderen Kurz-, Dokumentar- oder Experimentalfilm auch: es gibt dafür kein kommerziell nutzbares Publikumsinteresse.

Der Boom von '82/'83 hat deutlich gemacht, daß die Super8 längst aus den Kindertagen eines Amateurformates herausgewachsen ist, und auch nicht nur Jungfilmern als Fingerübung dient. Die Super8 hat sich zu einem ganz eigenen Medium in eigenen Zusammenhängen und mit eigenen Inhalten entwickelt. Persönliche Ideen werden unmittelbar umgesetzt, und öffentliche Themen werden häufig von vielen Filmern aus verschiedenen Perspektiven zu einem (Episoden-)Film zusammengearbeitet, - diese unabhängige Arbeitsweise kennzeichnet den Super8-Film bis hin zu einer eigenen Filmsprache. Wie die über 250 Einsendungen zu 'Interfilm 3' beweisen, hält die Produktion auf Super8 unvermindert an. Den Organisatoren des Festivals (vom Kino Eiszeit, Lunapark und Villa Kreuzberg) ist bei der Sichtung besonders die Beteiligung von Malern und Kunsthochschulen aufgefallen, deren Filme sich teils materialästhetisch an den Formen bildender Kunst orientieren, teils unkonventionell Environments und Kunstaktionen dokumentieren.

Erstmals auf einem westdeutschen Festival werden Super8-Filme aus der DDR vorgestellt. Helge Leiberg arbeitete vor seiner Ausreise im Frühjahr '84 mit einer Dresdener Künstlergruppe zusammen und zeigt jetzt deren Filme -auch neueste Produktionen- aus seinem Besitz. Die Vorführungen unabhängiger Filme in der DDR können aus den bekannten Gründen nur im Dunkeln, d.h. getarnt im Rahmen von z.B. Jazzkonzerten, Vernissagen oder Atelierabenden stattfinden, und auch das nur, wenn jemand persönlich die Vorführung verantwortet. Die Aktion wird dann staatlicherseits zwar 'kritisch bewertet' aber die Filme sind schließlich gelaufen. Da es in der DDR erst seit diesem Monat eine Super8-Tonfilmtechnik gibt und die Vorführgeschwindigkeiten bei dem verbreitesten Super8-Projektor, dem tschechischen Meos, stufenlos regulierbar sind, werden die Vorführungen durch den Auftritt der Filmemacher an Tonband und Projektor meist zu einer Liveaktion erweitert. Die insgesamt zehn Filme aus der DDR werden denn auch auf 'Interfilm 3' mit dem Meos-Projektor live vorgeführt.

Sicherlich zählen die zwei DDR-Programmblöcke neben den Auswahlprogrammen aus Großbritannien (zusammengestellt von Jo Comino / Channel IV) und aus New York (zusammengestellt von 'The Kitchen') zum Interessantesten, was das Festival zu bieten hat. Der größte Teil der ca. 100 ausgewählten Filme kommt aus der Bundesrepublik und Westberlin. Die zehn Programmblöcke werden an den drei Vorführorten insgesamt zweimal gezeigt; neben fünf längeren Spielfilmen gibt es auch Mehrfachprojektionen, Super8 -Performances und Installationen.

(tip Berlin, Nr.20/85, September 1985 - Michael Brynntrup)


(veröffentlicht in: »SUPER-ACHT IN BERLIN UND ANDERSWO«,
Broschüre über Super-Acht, Selbstverlag, 1.+2. Auflage: 400, Berlin 01/1984-87
[darin u.a. die Artikelserie aus: 'die tageszeitung', 08/82-09/82])