Pressestimmen | reviews and articles

Aus Berlin Neues von [...] und dem homoerotischen Jesus Michael Brynntrup, der die Lager gewechselt hat und seine »Höllensimulation« vorstellt.
(Siegessäule, 09/87)

Die 'psychosomatische Geburtsvorbereitung mit praktischen Übungen zur Sterbehilfe' »Testamento Memori« (1986) und »Höllensimulation« (1987) wenden sich verstärkt dem Materialexperiment zu. Das Negativ wird zum Positiv, auf das Filmbild belichtete Animationen nehmen dem Bild die räumlichen Dimensionen und relativieren damit jedes allzu greifbar identifizierbare Bild. Die Verwendung von Filmvor- und -abspannen, Schärfe- und Farbtafeln, Stimmen aus Lehrfilmen, Fotos und Grafiken weisen auf den Zitatcharakter jeglichen Materials, das sich zur Kopierung eignet. "Das Dekorativ-ästhetische des Manierismus, den ich liebe" tritt gegenüber den großen Themen 'Geburt', 'Identität' und 'Tod' in den Vordergrund.
"Obwohl Experimentalfilm immer auch Metafilm - Film über Film - sein sollte, mache ich keine Experimente zum Selbstzweck, - Filme, die nur noch reine optische Oberfläche sind. Der Seiltanz zwischen der Unmittelbarkeit einer filmischen Illusion und der Brechung durch das formale Arrangement kann wie im Manierismus zu einem anderen Realitätszugang werden, kann allgemeine Aussagen wieder ermöglichen." Für die beiden letzten Filme Brynntrups gilt wohl noch mehr das Motto, daß er dem »Orpheus« Film vorangestellt hatte: "Rätselfilm: Besondere Form des Unterhaltungsfilms, bei dem der Inhalt aus dem formalen Gefüge des Films erraten werden muß."
(Werkschau MB, Katalog NoBudget Festival, Hamburg 05/1988 - Martin Hagemann)

Die Hölle - Beim dritten Film zeigt sich, daß eine in der Jugend sorgfältig eingebleute humanistische Bildung ein wertvoller Fundus für späteres Kunstschaffen sein kann. Eine Stimme aus der Finsternis trägt Platons »Höhlengleichnis« vor - auf altgriechisch: Menschen sind in einer Höhle von Kindheit an so an Hals und Schenkeln gefesselt, daß sie sich nicht bewegen können und nur ein eng begrenztes Blickfeld haben, vor sich sehen sie eine Mauer, die den Weg zum Licht hinter ihnen versperrt, und hinter der Mauer gehen Leute vorbei, die verschiedene Gegenstände über sich tragen. Man sieht sie nicht, hört nur ihre Stimmen. Das Gleichnis ist das Thema für eine Assoziationsfolge über »Höllensimulation« (8 Min. / 1987) im Zeitalter der Kernspaltung. Ein Haus, das erst vom Atomblitz erleuchtet, dann in Brand gesetzt und schließlich - schwupps - wegblasen wird. Der Da-Vinci-Mensch dreht sich um seinen Mittelpunkt, seine Gliedmaßen geraten durcheinander. Die Perversion der Wahnehmung und des Strebens nach Erkenntnis: Ich bohre mir in der Nase, aber das kann ich nicht sehen, es sei denn, ich hätte Augen in der Nase, aber selbst dann könnte ich es nicht sehen, weil ich mir selbst mit dem Finger das Licht wegnähme, somit könnte ich dann überhaupt nichts mehr sehen. Pech.
(die tageszeitung, 16.03.89 - Michael Vahlsing)

He allows us to see how he writes his texts or draws his drawings. We get the impression that the film is being produced now, as it is projected to us. Images and texts put themselves together like arguments of a direct speech. At the same time one is conscious of the process of making, although the shooting isn't visible. The distance of the filmed action also results from the dichotomy between image and text, which, for example, in »Höllensimulation«, 1987, don't seem to relate to each other. The spectator has to make an effort to decode the information.
(Berlin - Images in Progress, Katalog Hallwalls Buffalo, Mai 1989 - Birgit Hein)

Brynntrups Filme sind von einer ganz erstaunlichen Kraft, voller Faszination, vielleicht auch deswegen, weil er mit dem Hinschaueffekt arbeitet, mit dem er uns als voyeuristische Zuschauer für sich gewinnen kann. Seine Filme sind nicht nur Arbeiten eines Filmkünstlers, sondern auch eines Filmkönners, eines Filmemachers, der sich nicht damit begnügt, die Kamera draufzuhalten und den Rest den untergeordneten Handwerkern und Technikern zu überlassen, wie es sogar beim 'Autorenfilm' die Regel ist.
Wir sehen von ihm selbst realisierte Mehrfachbelichtungen, Falschfarbentechniken, komplexe Überblendungen, Handkolorierungen, Kontrastverstärker. Schwarzweiß- Schriften, Positiv-Negativ- Bilder verändern sich plötzlich, werden selbständig, bestimmen die Handlung, den Inhalt (besonders deutlich in »HÖLLENSIMULATION«, 1987, wo Leonardos Menschenbild quasi re-animiert wird).
(Michael Höfner, Ein Blick durchs Mikroskop, gedruckt in: Lebende Bilder - still lives, Katalog zur Cineprobe Film Exhibition im Museum of Modern Art, New York - Berlin, April 1992)

Brynntrup's films have an astonishing strength. They are full of facination. One reason perhaps is that he works with a 'look-at-this' effect, which is used to attract us, the voyeuristic spectators. His films are not only the work of a film artist, but also of a film expert. Brynntrup isn't content just to hold the camera and let the technicians and craftsmen do the rest, which is the rule even in 'auteur' films.
We see his self-produced multiple exposures, chemically induced color alterations, complex dissolves, hand colouring, contrast intensification. Black/white writings, positive/negative images suddenly shift; become independent, determining the plot, the content (especially noticeable in »SIMULATION OF HELL«, where Leonardo's 'Menschenbild' is virtually reanimated).
(Michael Höfner, translated by Constance Hanna, printed in: Lebende Bilder - still lives, catalogue MoMA, New York - Berlin, April 1992)