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Pressestimmen | reviews and articles

NARZISS UND ECHO, 1989
von Birgit Hein


Für seinen Film NARZISS UND ECHO bekommt Michael Brynntrup 1990 den Preis der deutschen Filmkritik für den besten Experimentalfilm.

Betrachtet man den Film im Zusammenhang mit Brynntrups übriger Arbeit, scheint er als inszenierter Kurzspielfilm, als Kostümfilm, ohne bildliche Verfremdungen nicht zum bisherigen Werk zu passen, abgesehen vielleicht von dem Zwillings/Doppelgängermotiv, das seine Arbeit wie ein roter Faden durchzieht. Aber die Bilder vermitteln eine merkwürdige Faszination, und trotz der so einfachen Handlung beginnt man zu grübeln, was der Film eigentlich aussagt. "Ein Rätselfilm ist die besondere Form des Unterhaltungsfilms, bei dem der Inhalt aus dem formalen Gefüge des Films erraten werden muß." Diesen Satz hat Brynntrup dem Film vorangestellt, und es lohnt sich, ihn als Aufforderung zu nehmen und in das Gefüge des Films einzudringen.

Nach dem antiken Mythos war Narziss ein Jüngling von solcher Schönheit, daß Männer und Frauen sich in ihn verliebten, aber er verschmähte sie alle. Die Nymphe Echo litt so sehr unter ihrer unerwiderten Liebe, daß sie verkümmerte bis sie nur noch Stimme war. Deshalb wurde Narziss dazu verdammt, sich in sein Spiegelbild zu verlieben. Er konnte sich nicht mehr davon losreißen, siechte dahin und starb.

Brynntrup hat die Geschichte in das Rokkoko verlegt, in eine Zeit, die durch feminine Haartracht und Kleidung der Männer auffällt. Er betont das androgyne Element, indem er Männer Frauenrollen spielen läßt: Echo scheint eine bezaubernde junge Dame zu sein. Erst an ihrer tiefen Stimme erkennt man den jungen Mann.

In der ersten Szene sitzt sie vor einem großen ovalen Spiegel und ist mit ihrer Schönheit beschäftigt. Da bittet Narziss vorgelassen zu werden. Im Gegensatz zur Sage ist er hier der feurige Liebhaber, der Echo zu Füßen fällt und beim Handkuß alle Beherrschung verliert: er steckt ihre ganze Hand in seinen Mund. Echo ist durch diese Geste beleidigt und empört. Sie ohrfeigt ihn, tritt ihn zwischen die Beine und schickt ihn für immer fort. Während er geht, greift Narziss zornig nach einer kleinen Statue die auf einer Säule steht, und zerschmettert sie auf dem Fußboden. Ihm folgen seine Diener, es sind Zwillinge, genauso wie die Kammerzofen von Echo.

Es ist Zeit vergangen. Echo hat Sehnsucht nach Narziss. Sie öffnet Fenster und Türen des Schlosses, läuft in den Park und ruft immer wieder seinen Namen. In aufwallenden Gefühlen faßt sie sich an ihren Busen: ein paar Weintrauben, in ihrem Dekolletee. Schließlich sieht sie Narziss. Als nackte Statue steht er versteinert auf einem Sockel an der Freitreppe. Echos Verlangen wird übermächtig, sie fällt in Ohnmacht.

Narziss steht da, mit einem Spiegel in der Hand, auf ewig in Betrachtung seines Spiegelbildes versunken. Nachdem seine Liebe die kränkende Abfuhr erfahren hat, hat er sich auf sich selbst zurückgezogen. Als steinerne Skulptur bleibt er immer jung, seine Schönheit wird nie vergehen. Aber das Gesicht. das ihm aus dem Spiegel entgegenblickt. ist nicht aus Stein, sondern es lebt. Ahnlich wie das Bildnis des Dorian Gray wird es altern, während der Körper jung bleibt.

Das ist die schönste Einstellung des ganzen Films, wenn wir über die Schultern der Skulptur im steinernen Spiegel, das lebendige Gesicht sehen.

Die Statue bewegt sich und beginnt zu sprechen, Echo, aus ihrer Ohnmacht erwacht. ist nun zum Wiederholen der Satzenden verdammt. Dabei erhalten die Sätze durch Verkürzung und zusätzlich durch Echos Betonung genau den gegenteiligen Sinn. So entsteht ein Dialog zwischen beiden. Was er abweisend gegen sie richtet, kommt von ihr positiv als Werbung zurück. Wenn er schließlich kühl verachtend zu ihr sagt: "Du denkst, Dir werde ich mich schenken", wiederholt sie voller Hingabe "Dir werde ich mich schenken" und verstummt sofort voller Entsetzen über ihre eigenen Worte.

Dann sehen wir Echo wie am Anfang wieder vor ihrem großen Spiegel sitzen. Wasser läuft über das Glas, ihr Bild zerrinnt. Wir hören die Stimme von Narziss: "Ich lieb mich, ich lieb mich nicht" und sehen ihn dann, wie am Anfang gekleidet, endlos an seinen Fingern abzählend ob er sich liebe - eine spottende Wiederholung der ersten Szene, in der Echo dieses Spiel vor dem Spiegel machte: "Er liebt mich, er liebt mich nicht." Die Kammerzofen prosten Echo zu. Sie springt auf, dabei fällt das Sektglas von der Säule herunter und zerschellt auf dem Fußboden. Abblende.

Es ist eine Geschichte über die unerfüllbare Sehnsucht nach Liebe, in der die Geschlechterrollen aufgehoben sind. Echo ist ein Mann und empfindet und leidet in der Rolle einer Frau. Mit einem Spiegelbild kann man sich nicht vereinen. Das für den Mythos so wichtige Spiegelmotiv ist nicht nur direkt durch Echos' und Narziss' Spiegel dargestellt, sondern es bestimmte auch die Form des Films.

Narziss und Echo sind einander spiegelbildlich zugeordnet, aber nicht als Wiederholung des Gleichen wie bei den Zwillingspaaren, sondern als Umkehrung: seine Liebe und ihre Ablehnung im ersten Teil finden die Entsprechung in ihrer Liebe und seiner Ablehnung im zweiten Teil. Dabei wird der gesamte zweite Teil zur umgekehrten Spiegelung des ersten. Das geht bis in die Details, wie das Abzählen mit den Händen oder das Zerbrechen von Statuette und Sektglas.

Damit haben wir eine Ebene des Films erfaßt. Eine weitere Dimension kommt durch die Ebene des Infantilen hinzu, das sich vor allem in der Lust am Verkleiden und am Rollenspiel äußert. Hier haben wir die für Brynntrups Arbeit typischen Verweise auf den Prozeß des 'Machens', der von der filmischen Illusion distanziert. Es wird immer wieder deutlich, daß hier gespielt wird. Dabei steht dem Profi Helge Musial als Narziss die Amateurin Tima die Göttliche als Echo gegenüber. Hier wird gespielt, aber gerade deswegen ist es auch sehr ernst. Hinter dem gespielten Konflikt werden die realen Beziehungen und Spannungen der Darsteller spürbar.

Dem Pathos der Sehnsucht steht die Ironie der Diener und Zofen gegenüber, die sich über Echo lustig machen. Ihnen ist ein Thema der Musik zugeordnet, ein musikalisches Echo in der Tonebene.

Die Spiegelungen setzen sich unendlich fort, der Schluß des Films ist kein Ende. Erst im Tod werden Person und Abbild vereint.

(Birgit Hein, "NARZISS UND ECHO, 1989", Journal Film, Nr.1/91, Freiburg, Januar 1991)

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Interview | interview
Steff Ulbrich, "Death, Obsession + Cinema (part two)", interview with MB, March 1989, printed in: Independent Eye, N°11, Toronto, Spring 1990

Interview | interview
Steff Ulbrich, Interview mit Michael Brynntrup, März 1989, translated and printed in: BERLIN - Images in Progress, Contemporary Berlin Filmmaking, Buffalo, 1989