Pressestimmen | reviews and articles

Gesprächsprotokoll | discussion
Moderation: Barbara Frankenstein, Diskussion zu »Aide Mémoire«, 3. Dokfilmwerkstatt Poel am 20.09.95, veröffentlicht in: "Poeler Gespräche", Landesfilmzentrum M/V 1996
biographischer Artikel | biographic article
Robin Curtis, "From the Diary to the Webcam: Michael Brynntrup and the Medial Self" (excerpt on »Aide Mémoire«), In: "After the Avant-Garde (...)", Camden House Press, Rochester, NY, October 2008


27 Fotos, 27 Portraits aus 27 Monaten. Jeden Monat, begonnen vom Oktober 1991, hat Aron Neubert Jürgen Baldiga fotografiert. (...) Auch Michael Brynntrups 15minütiges Video »Aide Mémoire - ein schwules Gedächtnisprotokoll« ist ein Dokument einer langen Freundschaft, ein Langzeitdokument über Krankheit, Lebenswillen und schwules Selbstbewußtsein. Zwischen 1991 und 1993 hat er Jürgen Baldiga mehrfach interviewt - über sein coming-out, sein schwules Selbstverständnis, seine künstlerische Tätigkeit, seinen Umgang mit der HIV-Infektion. Immer wieder unterbrochen werden die Gesprächspassagen von einer im Hinterhof gröhlenden Nachbarin Baldigas, die ihn auf den Friedhof wünscht, als schwule Sau beschimpft. Momente, die noch mehr unter die Haut gehen, als der schon bewegende Eindruck, Jürgens Stimme, sein Gesicht wieder lebendig vor sich zu sehen.
(Siegessäule, 11/95 - Axel Schock)

Am 4. Dezember 1993 starb der Fotograf Jürgen Baldiga an Aids. Michael Brynntrup hat ihm nun mit seinem Film »Aide Mémoire« ein schwules Gedächtnisprotokoll gewidmet. 1959 als Bergmannssohn geboren, lebte Baldiga ab 1979 in Berlin. Koch, Barkeeper, Fotograf, Performance-Künstler ist er gewesen, Stricher hat er geliebt. 1984 hat er sich infiziert. Brynntrup zeigt das kurze Leben in einer Art privatem Diskurs. Es wurden fast magische Bilder zum Umgang mit dem Tod. »Aide Mémoire« (16 min) ist auf vielen Veranstaltungen zu sehen.
(ADAM, 12/95 - Hermann J. Huber)

Manchmal schwierig, nie hermetisch (...) Bitterernst oder ironisch? Arrogant oder schüchtern? Schwierig zu sagen, bei dem jungen Mann, der da auf dem Podium saß. Dabei war dieses Podium ihm fast zur Anklagebank geworden. Letzten Herbst, bei der Dokfilmwerkstatt auf der Ostseeinsel Poel, gab es um einen ziemlich kurzen Film von Michael Brynntrup ziemlich aggressive Diskussionen: »Aide Mémoire«, ein Erinnerungsstück des Regisseurs an einen an Aids verstorbenen Freund, den Fotografen Jürgen Baldiga. Gedreht auf Video und in Home-Movie-Manier, war dem Film der Verlustschmerz deutlich anzumerken.
Es war die Form, die provozierte. Aufdringlicher Dilettantismus wurde Film und Mann vorgeworfen. Auch Verunsicherung über das Sujet war zu spüren: Wieso kehrt da einer, ohne jede ästhetische Distanz, sein Intimstes nach außen? Warum wird soviel über Sex gesprochen, wenn es doch ums Sterben geht? Autobiographische Bezüge durchziehen die Filme von Michael Brynntrup. Trotzdem ist »Aide Mémoire«, für diesen Regisseur, ein eher ungewöhnlicher Film. Seit 1982 macht Brynntrup Filme. Spielerische, intelligente, eigen- und tiefsinnige, witzige und (mit einer Ausnahme) kurze. Alles mögliche läßt sich da bemerken, aber Dilettantismus nicht. Außer dem gewollten, der einem 'Experimentalfilmer' wohl ansteht.
(Der Tagesspiegel, Berlin, 09.02.96 - Silvia Hallensleben)

»Aide Mémoire - ein schwules Gedächtnisprotokoll«, der auch auf der Berlinale zu sehen sein wird, ist Michael Brynntrups neuester Film. Es ist das unkonventionelle Portrait des aids-kranken und 1993 gestorbenen Fotografen Jürgen Baldiga. Skizzenartig und dabei sehr persönlich ist im Verlauf eines Gespräches am Küchentisch ein sehr berührendes Erinnerungsbild entstanden. Die fotografische Arbeit ist dabei ebenso Thema wie Alltäglichkeiten und das Fortschreiten von Baldigas Krankheit. Von ihm stammt auch der Epilog des Films: "Unkraut vergeht nicht, es verblüht nur."
(die tageszeitung, Berlin, 09.02.96 - Gudrun Holz)

In der Nachtschiene des Videofests nimmt 'Memento Mori' einen besonderen Platz ein. Drei Filme sind zu sehen, die das Sterben, den Tod, die Erinnnerung und deren künstlerische Reflexion behandeln. »Aide Mèmoire - ein schwules Gedächtnisprotokoll« des Filmemachers Michael Brynntrup ist zunächst einmal das mit Super8- und Videomaterial gefilmte Erinnerungsprotokoll seiner Gespräche mit dem aidskranken Fotografen Jürgen Baldiga. Es handelt sich hierbei jedoch eher um eine unpathetische Selbstvergewisserung als um das Portrait eines Sterbenden. Dem Gespräch am Küchentisch ist das schwulenfeindliche Gekeife einer Berliner Mutti im Hinterhof gegengeschnitten. Weil diese Realität dieselbe bleibt, egal, ob jemand stirbt oder nicht.
(die tageszeitung, Berlin, 17./18.02.96 - Gudrun Holz)

»Aide Mémoire - ein schwules Gedächtnisprotokoll« (16 min, 1995) thematisiert ebenfalls den Tod eines jungen Mannes. Der Fotograf Jürgen Baldiga starb Ende 1993 an den Folgen von AIDS. So wie für die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit kein Platz an der Sonne des Wirtschaftswunders war, passen AIDS-Kranke einfach nicht in die auf Spaßmaximierung bedachte Gesellschaft von heute. Skizzenhaft und ohne Voyeurismus wird ein intimes Bild Baldigas gezeichnet. Baldiga philosphiert über Fotografie, er präsentiert persönliche Erinnerungsstücke, schildert die Auswirkungen von HIV auf sein (Sexual-) Leben und eben auf seine Fotografie. Der Satz: "Wenn deine Zeit begrenzt ist, dann überlegst du dir schon, was machst du mit der Zeit, die dir zur Verfügung steht ..." sprengt den Rahmen des Privaten, denn auch die Zeit der 'Gesunden' währt nicht ewig. Bei aller Vitalität die Baldiga im Gespräch ausstrahlt, vermittelt der Film keine Illusion über den Verlauf der Krankheit. Am Ende steht der ungeschönte Blick auf Baldigas Leiche, verbunden mit dem tröstenden Satz (und Baldigas eigenen Worten): "Unkraut vergeht nicht, es verblüht nur".
Baldiga nutzte das Medium Fotografie, um in größtmöglicher Direktheit Personen und Stationen seines Lebens festzuhalten. In gleicher Weise bedient sich Brynntrup des Mediums Film. Der Titel 'Gedächtnisprotokoll' verweist auf das Flüchtige des Augenblicks und auch jeder Aufzeichnung. Brynntrup bringt in dem Film zwei 'Bilder' bzw. Bildebenen zusammen, die er jede für sich 'festhalten' möchte: Zwischen die Erinnerungsaufnahmen mit Jürgen Baldiga sind Bilder einer Frau geschnitten, die in einem typisch-berliner Hinterhof übelste schwulenfeindliche Parolen gröhlt: "Du schwule Sau, Dich mach ich tot!" Brynntrup filmte die Frau von seinem Schlafzimmerfenster aus mit versteckter Kamera. Auch diese Bilder sind gegen das Vergessen gerichtet, gegen das Verdrängen. Sie sind nicht nur ein Dokument schwulenfeindlicher Gewalt, sondern auch der Versuch, sich vom Druck der gezielten Morddrohungen zu befreien: Kunst als Therapie.
(Rundbrief Film Nr.4, Feb./März 1996 - Marcel Steger)

»Aide Mémoire (un protocollo di ricordi gay)« - Il fotografo Jürgen Baldiga è morto di AIDS alla fine del 1993. Così come per l'elaborazione del recente passato non vi era posto sotto il sole del miracolo economico, così i malati di AIDS semplicemente non sono adatti alla società odierna tarata sulla massimizzazione del divertimento. Schizzato a larghi tratti e senza alcun voyeurismo, viene tracciato un intimo ritratto di Baldiga. Baldiga presenta alcune considerazioni filosofiche sulla fotografia, alcuni frammenti di ricordi personali, descrive le conseguenze dell'HIV sulla sua vita (anche sessuale) e sul suo lavoro. La frase "quando il tuo tempo è limitato, allora pensi davvero a come impiegare il tempo che hai a disposizione...", travalica i limiti del discorso privato poiché anche il tempo dei "sani" non dura in eterno. Nonostante tutta la vitalità trasmessa da Baldiga nei suoi discorsi, il film non offre alcuna illusione sul decorso della malattia. Alla fine uno sguardo spietato si ferma sul cadavere del protagonista, assieme alla frase consolatoria (e dello stesso Baldiga): "L'erba cattiva non muore, appassisce soltanto". Baldiga ha usato il mezzo fotografico per fissare con la maggiore immediatezza possibile persone e fasi della sua vita. Brynntrup utilizza in modo analogo il mezzo cinematografico. Il titolo Protocollo di ricordi rimanda al carattere fuggente dello sguardo e di ogni registrazione. Brynntrup unisce nel film due "immagini" o livelli di immagini: fra le registrazioni dei ricordi legati a Jürgen Baldiga sono montate immagini di una donna che da un tipico cortile interno berlinese urla i peggiori insulti omofobici: "Brutta troia gay, ti mando al cimitero!". Brynntrup ha filmato la donna di nascosto dalla finestra della sua camera da letto. Anche queste immagini sono indirizzate contro il processo del dimenticare, del rimuovere. Non sono solo un documento della violenza omofobica, ma anche un tentativo di liberarsi dalla pressione delle minacce di morte indirizzategli: arte come terapia.
(Marcel Steger, 1996) (traduizione: LABORATORIO BERLINO, CD-ROM catalogo, Turin/Bologna, dicembre 1998)

Der TIP gratuliert. Zum zehnten Mal läuft ein Film von Michael Brynntrup auf der Berlinale. (...) - tip: »Aide Mèmoire - ein schwules Gedächtnisprotokoll« heißt dein zehnter Berlinale-Film. Ein Gespräch zwischen dir und dem aidskranken Fotografen Jürgen Baldiga. - Michael Brynntrup: Der Film ist ganz spontan aus dem hohlen Bauch entstanden. Mir war es besonders wichtig, den Jürgen Baldiga als Menschen wiederaufleben zu lassen. Ich wollte nicht so ein konventionelles Feature drehen, so mit Biografie und so weiter. Mein Film ist eher wie eine Skizze. Ich wollte zeigen, wie lebendig der eigentlich war. Wenn er am Ende tot daliegt, ist das für mich nicht mehr der Jürgen. Der lebt weiter; und wenn auch nur in der Erinnnerung.
(tip berlin, 4/96 - Anke Leweke)

»Aide Mémoire« erinnert auf radikal-persönliche Weise an einen verstorbenen Freund. Der intime, zärtliche Blick des Filmemachers bewirkt eine Nähe auch der Zuschauer auf Aidskrankheit, Tod und Vergänglichkeit.
(Spezialpreis der Jury im Deutscher Wettbewerb der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen 1996 - Begründung der Jury: Annette Brauerhoch, Willi Karow, Ralf Schenk)

»Aide Mémoire« zeigt das liebevolle Portrait eines Menschen, der auf dem Weg in den Tod oder den nächsten Seinszustand ist. Ganz seriös, ganz unweinerlich wird gesprochen, und trotzdem ist es wieder zum Aufschreien und sich wehren gegen die falschen Verhältnisse, in denen es kein richtiges Leben geben kann.
(No Budget Festival Hamburg, Katalog 6/96 - Nordholt & Steingrobe)

Mehr oder minder autobiografisch, gewannen die unterschiedlichsten Dokumentarfilme an Kraft. (...) lntensität durch persönlich adressierte Gesten - das gelang auch Michael Brynntrup in seinem »Aide Mèmoire - ein schwules Gedächtnisprotokoll«. Die letzten Bilder des aidskranken Fotografen Jürgen Baldiga, eine keifende Nachbarin, leise und behutsame Fragen des Filmemachers: es ist die Privatheit, die berührt.
(epd Film, 8/96 - Dietrich Kuhlbrodt)

Spare and tough, this memorial portrait of photographer Jürgen Baldiga becomes a meditation on images of life and death.
(insideOUT Toronto, catalogue 1996)

A tender visit with a sick friend occurs in the comfort of his apartment in a hostile, decaying apartment building.
(MIX festival New York, program notes 1996)

Un discorso privato tra il fotografo Jürgen Baldiga (1959-1993) e il filmmaker Michael Brynntrup: un'indagine personale sul rapporto con le immagini della vita, della sieropositività e della morte.
(visioni positive Milano, catalogue 1997)

Die Lust am Leben - Zwei sehenswerte Filme zu schwulem Leben, »Aide Mémoire- ein schwules Gedächtnisprotokoll« (16 min) von Michael Brynntrup und (...). So unterschiedlich sie sind, so haben sie ein Thema gemeinsam: die Lust am Leben. Keine selbstbemitleidenden Statements zum Thema Aids mehr! Das beweist Michael Brynntrups Film »Aide Mémoire«, in dem er den HlV-positiven Fotografen Jürgen Baldiga zu Wort kommen läßt: Es ist ein Diskurs über Leben und Lust, über Krankheit und Gesundheit, es sind Überlegungen zum Umgang mit Bildern vom Leben und vom Tod. Unprätentiös erzählt und daher umso spannender. Wüste Beschimpfungen aus dem Hof kontrapunktieren die privaten Gespräche im Zimmer.
Michael Brynntrup hat Gespräche mit Jürgen BaIdiga gesammelt und zwei Jahre nach seinem Tod zum Film »Aide Mémoire - ein schwules Gedächtnisprotokoll« montiert. "Das Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf: Jürgen, das Gesicht. Jürgen hat seinen Körper verlassen, und eine eingefaIlene Puppe ist... Ach, Worte sagen da nichts! Das Bild (und keine Metapher) hab ich auf Video und Super-8 aufgenommen, aber das Bild habe ich auch noch so ganz präsent vor Augen (die Aufnahmen habe ich mir noch nicht einmal angeschaut... mir fehlt auch etwas der Mut!). Was ich aber sagen wollte: der tote Körper, so wie ich ihn heute morgen gesehen habe, hat nichts mehr mit Jürgen zu tun!" (Michael Brynntrup in seinem Tagebuch). Jürgen Baldiga beschreibt sich selbst in seinem Lebenslauf ein Jahr vor seinem Tod: Broterwerb als Koch / Barkeeper / Geliebter / Prostituierte / Gelegenheitsarbeiter. Seit 1980 Gehversuch in Richtung Schöne Künste. 1984 lustvoller Erwerb einer lmmunschwäche. Seit 1985 Autodidakt in der Kunst der Fotografie. Seit 1989 vollends im Bilde oder besser: "Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen". Und: "Unkraut vergeht nicht, es verblüht nur."
(XTRA! Wien, 11/97)

»Aide Mémoire« reflektiert das Sterben des aidskranken Fotografen und Brynntrupfreundes Jürgen Baldiga unter Verwendung eines späten Interviews.
(zitty Berlin, 22.10.98 - Jan Gympel)

Anderswo schert Brynntrup -um unvorhergesehene Wendungen nicht verlegen- aus genau dieser Dialektik von Zeigen und Verbergen aus. In »Aide Mémoire - Ein schwules Gedächtnisprotokoll« (1995) porträtiert er den Berliner Fotografen Jürgen Baldiga, der 1993 an den Folgen von Aids verstarb. Baldigas Anspruch, mit seinen Fotografien "Freunde, die aidskrank sind, in ihrer Würde darzustellen" findet sich in Brynntrups Film eingelöst; »Aide Mémoire« vermeidet spektakuläre Töne, ohne daß deswegen der Schrecken des vorzeitigen Sterbens unerwähnt bliebe. Für die Dauer des Porträts erfüllt sich, was Brynntrup in »Tabu V« nur ironisiert: Wenn man vom Tod nicht sprechen kann, so läßt sich doch ein Film darüber machen.
(die tageszeitung, Berlin, 31.10.98 - Cristina Nord)

Brynntrup kommt vom Super8-Film und das sieht man. Außerdem ist Brynntrup schwul und arbeitet neuerdings sein Liebesleben auf. Ohne Tabus. Er macht sich selbst öffentlich, gibt sich preis. Überschreitungen jeder Art sind erwünscht und kalkuliert. Michael Brynntrup kann aber auch von sich absehen. In »Aide Mémoire« zeigt er letzte Begegnungen mit dem an Aids erkrankten Fotografen Jürgen Baldiga.
(Programmblatt Filmkunsthaus Babylon, November 1998 - Cornelia Klauss)

This program of mostly autobiographical shorts by the German experimental filmmaker reveals a playful, prurient sensibility that aims to titillate and even infuriate: he's Andy Warhol without the philosophical subtlety, Kenneth Anger unredeemed by gaudy poetry. (...) Photographer Jürgen Baldiga (Cain in »Cain and Abel«) is the subject of »Aide Memoire: Gay Document for Remembering« (1995), in which Brynntrup chats with his friend while a frump shouts antigay obscenities outside; it offers a rare glimpse of Brynntrup's sentimental side.
(Reader Chicago, 05.11.99 - Ted Shen)

Allusions to phone sex, the impossibility of love relations, intimations of pornography, as well as Bynntrup's death cult (with its hints of necrophilia), all point to the filmmaker's indirect evocation of the consequences of the AIDS epidemic. (...) »Aide Mémoire«, a 16-minute short, is decidedly not a documentary about Baldiga's life and work. Twice Brynntrup visits his friend at home, who is sick with AIDS, to ask a few informal questions and to get him on tape. This "Gay Document for Remembering" ("Schwules Gedächtnisprotokoll"), as Brynntrup subtitles the film, is full of gaps: it reproduces few of Baldiga's photographs and mentions only a couple of dates from his life, one of which is his death in December 1993. This reticence, even omission, makes the photographer's life seem all the more transient and the loss that much more poignant. Some of the footage appears at first glance as trivial: Baldiga holds small objects from his belongings up to the camera - a minute hand of Fatima, a promotional lighter from a funeral home, a couple of removed teeth, even an old, used condom - tiny, insignificant relics that the camera, however, appreciatively captures as tokens from everyday life. Although Baldiga admits that every time he looks at himself in the mirror he can see the progression of his illness and that he is conscious of dying every second of the day, Brynntrup asks about his first and, then, most recent sexual experience, recording for the gay protocol their laughter and affirmation of life. He registers, too, the horrendous verbal abuse to which he himself was subjected by a woman outside his apartment in a reminder that, even in a supposedly tolerant Berlin (and not just in Baldiga's hometown of Essen) homophobia takes a public face.
When Baldiga reflects on his photographic art, parallels to Brynntrup's purpose in making this film come to mind. In stark, probing black-and-white photos, Baldiga captured the sufferings of PWAs and therewith the facts of the disease. Yet he also speaks about trying to show the dignity and liveliness that his subjects valiantly maintained, taking care not to sensationalize their situation. Brynntrup in fact imitates this photographic art by at times freezing the frame and converting Baldiga's image into a black-and-white still. Through his photography, Baldiga says, he wanted both to hold on to his friends (though he admits he still loses them) and to leave a trace behind, something that will live on after death. »Aide Mémoire« in its brevity shows how vital yet fleeting this record is. Daringly, in the very wordplay of its title, the film suggests that AIDS itself assists memory, that the fact of death helps to preserve a part of life. The juxtaposition with Baldiga implies that Brynntrup, too, hopes that death cannot take his friend away - he remains on film. Yet in its modesty the film intimates that this is only a hope, not an accomplishment. What does live on, though, even after the film is over, is the memory, to which the film functions as an aid.
Throughout the interviews Baldiga is beautifully alert, smiling, and soft-spoken. The camera affectionately captures a close-up of his mouth. In truth, it is the voice which makes the cinematic art different from the photographic one. And it is a voice which is never shrill: taking his friend as a model, Brynntrup refuses to sensationalize his passing, nor does he play up the pathos of the loss - before the film ends with the words "it merely expires" ("es verblüht nur"), the open coffin and tombstone are only momentarily shown. Shots of a hurdy-gurdy man playing in a Berlin courtyard also help provide an optimistic tone. Most importantly, the calm, low-keyed interviews reaffirm the presence and will of a friend with AIDS as well as the persistence of his sexuality and desires.
Insofar as Brynntrup also records himself with Baldiga and does not hide behind the camera, his own involvement in the other's life is not erased: another memory he avers is that he was an integral part of this life. In the broader view of Brynntrup's oeuvre, such a detail also serves as a reminder that despite Brynntrup's constant deconstruction of systems of identity, the very presence, often naked, of his own body declares its facticity and distinctiveness.
(Alice Kuzniar, "The Queer German Cinema", Stanford University Press, July 2000)

In »Aide Mémoire« (1995) wird der schleichende Aidstod des Fotografen Jürgen Baldiga als »schwules Gedächtnisprotokoll« festgehalten und die Freundschaft der beiden Künstler besiegelt.
(epd-film, Frankfurt a.M., September 2000 - Helmut Merschmann)

The filmmaker turns his camera on photographer Jurgen Baldiga in a personal investigation of how to deal with the complicated issues of life, death and AIDS.
(The Bent Lens: A World Guide To Gay & Lesbian Film, edit: Allen & Unwin, 2003)

Exitus und Expositus, Tod und Selbstdarstellung: Wie weit liegen sie auseinander, welche Grenzen setzen Moral und Medien? Diese Fragen beleuchtet »E.K.G.« irgendwie. (...) Lange Interviewpassagen mit Jürgen Baldiga exponieren das Todesthema aus anderer Perspektive. Der 1994 an den Folgen von Aids gestorbene Fotograf ging in seiner Arbeit spielerisch und offensiv mit der Krankheit und dem absehbaren Tod um.
(Siegessäule Berlin, Februar 2004 - Andrea Winter)

Wenn eine prollige Nachbarin im Hinterhof "du schwule Ratte" keift, ist das für Brynntrup ein Stück Material, nicht nur der schwulen Realität. Ein Teilstück von »E. K. G.« porträtiert den Fotografen Jürgen Baldiga, der in den Neunzigern an Aids starb.
(Der Tagesspiegel, Ticket, 15.04.04 - Andreas Becker)

Zwei in »E. K. G. Expositus« eingearbeitete frühere Filme Brynntrups illustrieren die unterschiedlichen Formen, künstlerisch von sich selbst zu sprechen. Das so traurige und kämpferische wie intime Porträt des an Aids sterbenskranken Fotografen Jürgen Baldiga und die eher heitere, aber nicht minder intime Chronique amoureuse, »Loverfilm« (...)
(die tageszeitung, Kultur, 16.04.04 - Diedrich Diedrichsen)

"Ich male mein Leben lang nur mich selbst", sagt Brynntrup und hat diesbezüglich mit »E.K.G. Expositus« sein Opus Magnum geschaffen. Ein abendfüllender Dokumentarfilm über sich selbst als Künstler und Medienmenschen. (...) Hineingelötet hat Brynntrup »Loverfilm« (1996), »Aide Mémoire« (1995), »Herzsofort.Setzung II« (1996) und »Kein Film« (2000) - alles treffsichere Werke konkreten Filmanarchismus', jedes für sich mit klaren stilistischen Qualitäten.
(Schnitt, Nr.34, April 2004 - Oliver Baumgarten)

E.K.G. Expositus (Die öffentlichen und die künstlerischen Medien) - Eingearbeitet hat Brynntrup den »Loverfilm«, eine selbstironisch aufbereitete Liste aller Lover seines Lebens, und »Aide Mémoire«, das intime Porträt des aidskranken Fotografen Jürgen Baldiga. Diese frühen Filme Brynntrups illustrieren unterschiedliche Formen, künstlerisch von sich selbst zu sprechen. Im Gegensatz dazu stehen öffentliche Medien, die Bilder nur dann senden, wenn die Quote stimmt. Es geht um Authentizität, Wahrheit, Lüge. Und dann geht es auch um die Frage, wie weit ein Bild gehen darf?
(Katalog Lesbisch Schwule Filmtage Hamburg, http://hamburg.gay-web.de/filmtage - Oktober 2004)

Yet all this willful capriciousness does have a very definite centre of gravity: death. It is most evident in another cannibalised short, »Aide Memoire - Gay Document for Remembering« (»Aide Memoire - ein schwules Gedachtnisprotokoll«) (1995), an unassumingly tender documentary in which photographer Jurgen Baldiga talks to Brynntrup about coping with AIDS. Baldiga's talking head is intercut with still pictures of him close to death (he died in '93) and apparently unstaged footage of a deranged alcoholic woman in Brynntrup's courtyard screaming threats and abuse at the filmmaker who is hiding, filming, in his flat.
(http://www.sensesofcinema.com, Maximilian Le Cain - February 2005)

Although the affectingly delicate Aide Memoire consciously resists heaviness, choosing instead to emulatively celebrate Baldiga’s courageous and even playful attitude in the face of his fate, it is nonetheless the only overtly serious section of E.C.G., the only time Brynntrup wears his heart on his sleeve. As such, it provides the film with a much-needed emotional centre. The self-image, one’s thoughts and love life are, Brynntrup might be suggesting, all fair game for pulping into clever, if emotionally superficial, intellectual conceits. They are, after all, so fragile (the filmmaker’s ruined face in the hospital) and fleeting (the lists of diary dates and lovers that are replaced with dizzying speed). But death, and one’s attitude towards it, are an absolute, perhaps the only one, and is thus viewed with a respect unmerited by any other aspect of life.
(Being Michael Brynntrup, http://www.sensesofcinema.com, July-September 2005 - Maximilian Le Cain)

biografischer Artikel | biographic review

Danach zeigte Frau Hein zwei kurze, von vernehmbarem Schmunzeln des Plenums begleitete, Webespots für das Bestattungs-Großunternehmen Grieneisen, sowie den Kurzfilm “Aide Memoire”, in dem Brynntrup mit dem Fotografen Jürgen Baldiga einen HIV-infizierten Freund kurz vor dessen Tod interviewt. Sie reden über Orgasmen, begrenzte Zeit, das Angesicht des Todes und die Erkenntnis sich von Fremdherrschaft befreien zu müssen. Eine der letzten Einstellungen des Films zeigt die Leiche Baldigas mit offenem, zahnlosen Mund und leicht geöffneten Augen, was laut Brynntrup nach der Premiere für einige Diskussionen gesorgt hatte. Im Plenum herrschte jedoch Einigkeit über die Notwendigkeit der Darstellung der körperlichen Dimension des Todes, da diese nähmlich in unserer Gesellschaft tabuisiert sei. Der Tod an sich sei zwar durch Fernsehserien wie CSI, Six Feet Under oder die aktuelle Totenkopf-Mode präsent, doch die unmittelbare Körperlichkeit des Todes, die zuletzt durch die Thematisierung von AIDS eine kurze Renaissance erlebt hatte, sei sowohl räumlich als auch diskursiv aus der Gesellschaft ausgegliedert.
(Text zur Ringvorlesung 'Tod im Kino' an der HBK Braunschweig, http://mewi.hbk-bs.de/todimkino/das-leben-ist-eine-toedliche-krankheit, November 2007 - Andi Weich)

In seinen intermedialen Inszenierungen ist er ein Widergänger, der uns durchaus humorvoll mit gesellschaftlichen Tabus wie der körperlichen Dimension des Todes, mit AIDS, mit der Verletzung von Privatsphäre oder mit schwulen Orgasmen konfrontiert. Von Anfang an verschränkt Michael Brynntrup dabei biografische und fiktionale Momente. (...) Aber auch anderen queeren Künstler/innen hat er filmische Denkmäler gesetzt, wie dem Fotografen Jürgen Baldiga, der 1993 an AIDS verstorben ist, in „Aide Mémoire“ (ein schwules Gedächtnisprotokoll, 1995) oder der Polit-Tunte und Aids-Aktivistin Ovo Maltine mit dem Film „Das Ovo“, 2005).
(Siegessäule, Berlin, Juni 2008 - Alex Gerbaulet)

Aide Mémoire is both unsentimentally direct about the fate of the body, making the facts of life with AIDS public, and tender in its representation of these private moments.
("From the Diary to the Webcam: Michael Brynntrup and the Medial Self", In: "After the Avant-Garde (...)", Camden House Press, Rochester, NY, October 2008 - Robin Curtis)

biografischer Artikel | biographic review (excerpt on »Aide Mémoire«)




Gesprächsprotokoll | discussion
Moderation: Barbara Frankenstein, Diskussion zu »Aide Mémoire«, 3. Dokfilmwerkstatt Poel am 20.09.95, veröffentlicht in: "Poeler Gespräche", Landesfilmzentrum M/V 1996
Interview | interview
Anke Gebert, Interview zu »Aide Mémoire«, 3. Dokfilmwerkstatt Poel am 21.09.95,
veröffentlicht in: "Poeler Gespräche", Landesfilmzentrum M/V 1996
Radio - Interview | radio - interview
Knut Elstermann, Interview Auszug zu »Aide Mémoire«,
ORB 'FILMJOURNAL', Radio-Sendung vom 10.02.96