Interview | interview

Interview zu »HANDFEST- freiwillige Selbstkontrolle«
von Giovanni Mimmo im Januar 1985


Giovanni Mimmo:
Michael, Du hast also den Film »HANDFEST- freiwillige Selbstkontrolle« gemacht. Ich muß Dir gleich sagen, auch nachdem ich den Film jetzt zum zweiten Mal gesehen habe, daß ich den Film ziemlich langweilig und insgesamt zu subjektiv und hermetisch finde. Das ist mein erster Eindruck gewesen.

MB:
Das habe ich mich auch gefragt, warum macht man so einen speziellen Film, und für wen? Paradoxerweise hab' ich diese Frage in dem FIlm selbst behandelt; es gibt Stellen, da wird das Publikum direkt angesprochen. Der Ansatz war aber total subjektiv. Zuerst hatte ich das viele Material (die Aufnahmen) über Jahre gesammelt, und wollte daraus einen Film machen. Und dann wollte ich auch bestimmte Gedanken festhalten, die mich schon sehr lange beschäftigt haben. in dem Film geht es um Begriffe wie 'Identität' und 'Original', einmal natürlich um meine persönliche Identität, das ist für andere ja nicht weiter interessant. Aber es geht auch um die Identität einer Person, die Filme macht, die sich da hinstellt und sagt: 'Seht mal, was ich gemacht habe' und da könnte es allgemein interessant werden.

Ich habe mich also ganz altertümlIch gefragt: Was heißt Identität, so abstrakt, woher kommt dieses Bedürfnis danach, ist es Eitelkeit oder Bürgerpflicht und vor allem, wo gibt heute überhaupt Identität und wie findet man die. Da glaube ich, das ist ganz wichtig, daß man Identität nie alleine, sondern nur in einer Verdopplung findet, wenn man sein Spiegelbild betrachtet oder wenn man sich äußert, z.B. wenn man sich selbst reproduziert, wenn man also handfeste Beweise vorbringen kann. A gleich A.

Identität muß immer bewiesen werden, und komischerweise muß man sie sich sogar selbst beweisen. Aber die Zweifel liefert man auch gleich mit. Wenn man z.B. seine Stimme auf Tonband hört, wundert man sich sofort: 'Das soll ich sein?' Man zweifelt natürlich nicht existenziell, aber man ist schon recht verwundert. Und dann gibt's noch den Staat, der auch genau wissen will, wer man ist, und das am liebsten mit Paßfoto und in doppelter Ausfertigung. Immer wird ein Identitätsnachweis verlangt, die ganze Statik des Systems hängt ab von diesen unveränderlichen Kennzeichen. Das wirft natürlich die Frage nach der Reproduzierbarkeit von Identität auf, daß man sagen kann, dieser Fingerabdruck gehört dem-und-dem. Andererseits muß man sich auch nach der Identlfizierbarkeit von Reproduktionen fragen und dann wären wir beim Film, beim Verhältnis von Abbild und Wirklichkeit. Von all dem handelt »Handfest«; er kreist sozusagen um die Begriffe Identität, Original, Kopie, Verdopplung, Wiederholung, Reproduktion.

Giovanni Mimmo:
Das ist mir auch aufgefallen, daß der Film eigentlich viele Themen hat, die alle Irgendwas miteinander zu tun haben, aber was wird dann vielleicht doch nicht so deutlich. Nur ein Motiv taucht immer wieder auf, die Hand und Hände, was hat es damit auf sich.

MB:
Also ich hasse alle Filme, die sich mit ein paar Worten zusammenfassen lassen; die erzählen dann meist eine langweilige Geschichte, oder, wenn sie experimentell sind, dann reiten sie stundenlang auf irgendeiner Idee herum. Ich liebe vielmehr Rätsel, die nicht gelöst werden, wo nur so eine Ahnung bleibt. So etwas magisches hat übrigens auch eine Hand. Nicht daß ich an Handlesekunst oder Handauflegen glaube, aber mich fasziniert die Ausdruckskraft von Händen. Und die Sensibilität. Als ich pubertierte hat jemand, der mich stark interessierte, gesagt: "Du hast schöne Hände". Das hat mich sehr beeindruckt und vielleicht war das eine Art Schlüsselerlebnis was die Hände betrifft.

Giovanni Mimmo:
Eine andere Sache, die immer wieder auftauchte, war das Selbstmordthema, vor allem Puls aufschneiden. Das hast Du auch oft wiederholt. Willst Du Dich eigentlich selbst töten, oder hast Du solche Gedanken? - Hoffentlich ist die Frage nicht zu provokant...

MB:
Gewiß nicht, im Gegenteil. Selbstmord ist ein ganz komplexes Thema. Da kann ich so direkt gar nichts zu sagen. Theoretisch hat mich das sehr beschäftigt, aber praktisch nie. Selbstmord ist wie Tod viel zu irreal. Die Erfahrung z.B., daß jemand in meinen Armen stirbt und daß ich ganz verzweifelte Trauer empfinde, habe ich nie gemacht. Die Bilder (im Film) sInd eigentlich begrifflich, und meinen gar nicht einen persönlichen Selbstmord. Du mußt wissen, daß der Film für eine Ausstellung über Copy-Art gemacht worden ist und er handelt vor allem auch über den Zusammenhang von lebenden und toten Bildern, von Film und bildender Kunst und Kunst überhaupt. - Ich glaube, daß Film als Medium die wirklich zeitgemäße Kunstform darstellt. Ich denke, daß es eine Art Fortschritt der Kunst gibt, jedenfalls würde ich nie etwas machen, was es schon gibt. Also einfach etwas abmalen oder abfotografieren wäre keine Kunst, oder einfach einen Stil nachäffen, kopieren auch nicht. Banal. Aber was kann man machen, wenn man den Anspruch hat, originell zu sein? Da glaube ich, daß man nur über sich selbst berichten kann und formal bedeutet das, daß man über das Medium nachdenken muß, mit dem man arbeitet. Also Selbstreflektion. Nun hat Selbetreflektion aber auch etwas Selbstmöderisches an sich. Dieses ständige sich im Kreise drehen, dieser Zirkelschluß von 'Ich denke, daß ich denke' kann einen ja zur Verzweiflung bringen. Aber vielleicht ist eben dieser Zirkel das vitale Perpetuum mobile, das die Menschheit in Bewegung hält.

In diesem Jahrhundert gab es eine logische Richtung in der Kunst, die ganz konkret Selbstzerstörung betrieb. Das ging einher mit Minimalisierung, Elementarisierung und theoretischer Grundlagenforschung, in der Literatur z.B. wurde zuerst alles zusammen- und durcheinandergebracht, dann fingen die Poeten an, zu stottern, und schließlich wollten sie nur noch schweigen. Dasselbe in der bildenden Kunst, bis der Ausweg in einer Grenzüberschreitung, in einem Gattungswechsel, d.h. im Gesamtkunstwerk oder im sozialen Engagement gefunden wurde. Das muß man sehen, um zu wissen, wo man ist. Und davon handelt auch »Handfest«, das ist eine handfeste Kunsttheorie. Das Manifest, der Text zwischen den Bildern, ist ja genau diese Standortbestimmung. Eine Bestandsaufnahme. Wohin das weitergeht, weiß ich nicht.

(Das Gespräch führte Giovanni Mimmo im Januar 1985 für 'arcangelo sperimentale', Bologna; ergänzte Übersetzung MB, Auszüge veröffentlicht: Informationsblatt des 15. Internationalen Forum des Jungen Films, FilmFestSpiele Berlin, 1985)

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monografischer Artikel | monographic review
Silvia Hallensleben, "Die Statik der Eselsbrucken: An Experiment in Experimental Film", Millenium Film Journal N°30/31: Deutschland / Interviews, New York, Fall 1997



TV - Interview | TV - interview
Claus Hanischdörfer, Interview Auszug zur Ausstellung »Herzsofort.Setzung«,
SAT.1 Regionalreport Baden-Württemberg, TV-Sendung vom 04.01.96


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