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Interview zu »Aide Mémoire«
von Knut Elstermann, Radio-Sendung vom 10.02.96


Knut Elstermann:
Radio Brandenburg, das Filmjournal. Der Mann, der mir jetzt gegenübersitzt hat ein beachtliches Lebenswerk geschaffen, das sich allerdings in relativ kurzer Zeit überschauen läßt, was daran liegt, daß es zumeist sehr kurze Filme sind. Er ist einfach einer der wichtigsten deutschen Kurzfilmer. Herzlich willkommen, Michael Brynntrup. Diese Filme, so eine Auswahl, ein Kurzfilmprogramm, ist zur Zeit zu sehen. (...) Außerdem ist Michael auch vertreten auf der Berlinale, nicht zum ersten Mal, sondern bereits zum zehnten Male. Herzlich willkommmen beim Filmjournal. Dieser neue Film, der bei der Berlinale laufen wird, den werden wir noch gegen Ende besprechen. Jetzt vielleicht erst einmal so zu einigen Grundthemen, die Sie bearbeitet haben. Mich interessiert zunächst mal: Wie kommt es überhaupt, daß jemand so intensiv sich wirklich auf den Kurzfilm beschränkt. Die Filme sind so max. 20 Minuten, das sind, glaub' ich die längsten, die Sie gemacht haben.

MB:
Ja. Zuerst auch noch schön' guten Tach, und es freut mich sehr, hier zu sein. Also, Kurzfilme ja klar, damit fängt man ja normalerweise an. Man hat kein Geld, man ist ganz unbekannt, keiner gibt einem Geld. Ich hab' mit Super8 angefangen und die ersten Filme waren: ja relativ kurz. Von 7 Minuten, 14 Minuten, dann gab's zwischendurch aber mal einen Langfilm, das war der 120minütige Jesusfilm, bei dem ich mit vielen Leuten zusammengearbeitet habe. Aber, ja, das Kurze, das liegt einem so nahe und mir liegt es besonders nahe - am Herzen. (...)

Knut Elstermann:
Mir ist noch etwas aufgefallen. Und zwar gibt es bei ihnen ein weiteres wichtiges Thema. Das ist der Tod, die Beschäftigung mit dem Tod, mit Vergänglichkeit und natürlich ihr Schwulsein. Nun ist mir aber aufgefallen beim Anschauen, daß anders als bei Kollegen mit ähnlichen Themen, ich sag' mal Jörg Buttgereit, was den Tod betrifft, die Vergänglichkeit, oder Jürgen Brüning, ihre Filme durchaus nicht jugendgefährdend sind. Also man könnte mit ganz wenigen Ausnahmen das Programm auch zeigen. Also Sie lieben es doch offenbar, mehr anzudeuten statt drastisch zu zeigen, was die anderen beiden, als Beispiele mal, doch ganz gern machen.

MB:
Also, das kommt drauf an. Ich bau' die Filme nicht so auf, daß dieser Effekt als Skandal oder als Knaller da steht oder so. Aber ich bemühe mich sehr bewußt, auch tabuisierte Bilder in den Filmen unterzubringen. Also ich wälz' die nicht aus und ich mache die nicht zu dem ein und alles des Films. Aber man kann da schon in jedem Film drastische Bilder entdecken, wenn z.B. ein Totenkopf gefickt wird wie in »Testamento Memori« -das hört sich hier vielleicht furchtbar dramatisch an- aber das ist nur eine Sekunde und das kommt ganz beiläufig daher, ja. Es bleibt aber dieser Moment, ja, der bei den Zuschauern dann doch wohl irgendwo zündet, wahrgenommen und mit nach hause genommen wird. Naja, wie gesagt, ich seh' schon zu, daß die Filme auch gewisse drastische Bilder haben, ja.

Knut Elstermann:
Vielleicht weil sie so kurz sind haben sie dann noch eine ganz andere Sprengkraft als wenn's ausgewalzt wird. Wir machen hier mal eine kurze Musikpause und reden dann über den neuen Film, der bei der Berlinale laufen wird: »Aide Memoire«. {...Musikpause...} Dieser neue Film erzählt die Geschichte einer Beziehung von Ihnen zu einem Fotografen, Jürgen Baldiga. Er ist inzwischen an Aids gestorben. Ich wüßte erstmal ganz gern: Wie ist dieser Film entstanden? Offenbar wußte Jürgen ja ganz genau, was auf ihn zukommt und hat sich darauf eingelassen, diesen Film zu machen, um noch einmal von sich zu erzählen.

MB:
Ja, angefangen hat der Film eigentlich damit, daß wir gewisse Themen, die so um Tod, Sterblichkeit, Aids, Fotografie und Film kreisten, daß wir darüber sowieso schon viel geredet haben. Dann hatte ich meine Videokamera neu, eine Hi8-Kamera, und mit der war ich ihn dann einfach mal besuchen und dabei habe ich ihn etwas gezielter -sagen wir mal- 'interviewt' zu diesen Themen. Im Grunde haben wir aber eigentlich Kaffee getrunken, und, naja, dabei sind diese ganz einfachen, intimen Bilder entstanden. Zwei Jahre später haben wir das nochmal gemacht, dann allerdings etwas raffinierter, mit einer 2. Kamera dabei und mit etwas mehr Licht, usw. Ja, und schließlich -zwei Jahre nach seinem Tod- hab' ich mir gedacht: diese zwei Interviews also das ist so tolles Material, das läßt ihn so wunderbar wieder aufleben, so lebendig, wie man ihn ja in seiner Art normalerweise eigentlich vergißt, das möchte fertig machen so als kleine Erinnerung an ihn, so ist der Film entstanden.

Knut Elstermann:
Es ist ein sehr heiterer Mensch, der eigentlich auch sehr gelassen mit seinem Schicksal umgeht, aber es gibt in diesem Film am Schluß einen erschütternden Moment. Da zeigen sie nämlich das Bild von ihm im Sarg und da sieht man, daß es ein Mensch ist, der gar nicht leicht gestorben ist, es sieht wirklich aus, wie nach einem langen Kampf. Es ist ein erschütterndes Bild, das Sie uns da zumuten, ganz unvermittelt.

MB:
Mhm. Ja, im Verlauf seiner HIVinfektion gab es halt immer diese Auf und Ab. Die Interviews haben wir eigentlich immer in Hochphasen gemacht, also wenn er wirklich gesund, gut drauf war. Aber ich wollte natürlich das Interview nicht so stehen lassen, als sei alles Friede, Freude, Eierkuchen, drum habe ich auch dieses Bild noch drin. Was ich mit ihm ja auch vorher abgesprochen hatte. Also wir haben durchaus über den Film, die Entstehungsgeschichte und den weiteren Verlauf gesprochen. Einmal habe ich ihn im Krankenhaus besucht und hatte auch die Kamera dabei und wir wollten da eigentlich auch filmen. Er drängte mich auch direkt, also er meinte, diese Situation können wir doch schön filmen, aber eigentlich ging es ihm gar nicht gut, und da war mir der Moment zu wichtig ja, daß ich da nicht das Medium, die Kamera dazwischen nehmen wollte. Dieses eigentliche Leiden hab ich also dann gar nicht drin im Film. Eben nur dieses kurze Bild von ihm im Sarg.

Knut Elstermann:
Es ist ein erschütternder Film geworden, der auch einen anderen Michael Brynntrup zeigt, find ich: weniger verspielt, vielleicht auch weniger philosophisch, sondern ganz streng und eigentlich auch auf eine gewisse Weise sehr sehr einfach. Diesen Film wird man sehen können bei der Berlinale, ich sag's nochmal: am 17. und am 20. Ihnen vielen Dank und viel Erfolg mit diesem Film bei der Berlinale. Die anderen Filme wird man also sehen können, ich sag das auch nochmal: (...) Vielen Dank für Ihren Besuch.

(Knut Elstermann, Interview zu »Aide Mémoire«,
ORB 'FILMJOURNAL', Radio-Sendung vom 10.02.96)

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Gesprächsprotokoll | discussion
Moderation: Barbara Frankenstein, Diskussion zu »Aide Mémoire«, 3. Dokfilmwerkstatt Poel am 20.09.95, veröffentlicht in: "Poeler Gespräche", Landesfilmzentrum M/V 1996
Interview | interview
Anke Gebert, Interview zu »Aide Mémoire«, 3. Dokfilmwerkstatt Poel am 21.09.95,
veröffentlicht in: "Poeler Gespräche", Landesfilmzentrum M/V 1996


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