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Interview | interview

Interview zu »NY 'NY 'n why not« (Gewinner Publikumsfestival)
von Senta Siewert für Filmgarten.com am 03. Januar 2001


filmgarten:
Hast Du Film studiert? Wie bist Du zum Film gekommen? Hattest Du ein Initiations-Erlebnis?

MB:
Ich bin Autodidakt. Anfangs hatte ich mich in vielen Kunstgattungen ausprobiert (Bilder malen, Texte schreiben, ein bißchen Fotografie und sogar ein Praktikum bei einem Bildhauer gemacht). Diese Künste schienen mir aber alle reichlich tot (jedenfalls fühlte ich mich nicht befähigt, ihnen Leben einzuhauchen). Film, bzw. Lebende Bilder hab ich dann für mich entdeckt, als ich mich entschloß, eine grosse Reise anzutreten (das war eine Art Flucht aus psychischer Enge bzw bundesdeutscher Langeweile - also eigentlich eine Suche nach mir selbst). Dabei sollte eine Super8-Kamera mein ständiger Begleiter sein und die Realität bzw die erhofften persönlichen Entwicklungen quasi 1:1 aufzeichnen. Das war natürlich sehr illusorisch, aber immerhin habe ich da viele initiale Erfahrungen gemacht. Den fertigen Film dieser Reise will ich zwar keinem Publikum mehr zumuten, aber Spurenelemente dieser Ersterfahrung finden sich doch noch in so ziemlich allen folgenden Filmen bis heute (z.B. die Mischung von experimentellen, dokumentarischen und inszenierten Sequenzen und der wirklich freie, spielerische Umgang mit der Technik).

filmgarten:
Wie kamst Du zu der Idee des Films? Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Schauspieler? Was magst Du an Deinem Film besonders - vielleicht eine bestimmte Kameraeinstellung etc? Entstehen in Deinem Kopf zuerst Bilder, Figuren oder Plots zu einem neuen Film?

MB:
» NY `NY `n why not « ist typisch für eine ganze Reihe von Filmen, die sehr spontan entstanden sind. Bei »DER ELEFANT AUS ELFENBEIN«, einem Zyklus von Totentänzen, bin ich ähnlich vorgegangen. Inspiriert worden bin ich durch die Darsteller, die meist ganz ausserordentliche Charaktere sind (zum Teil Performer), aber in erster Linie Freunde oder gute Bekannte. Da fällt es dann nicht schwer, ihnen eine Rolle oder auch nur ein Setting auf den Leib zu schreiben. Oft gibt es dann gar kein Drehbuch, nur ein paar Bildideen und vieles entwickelt sich dann vor Ort. So war das auch mit Kaspar Kamäleon in New York. Wir beide waren zufällig zur gleichen Zeit da, Kaspar hatte dort Auftritte in Clubs und ich war im Museum of Modern Art mit meiner zweiten Soloshow, jedenfalls haben wir in einer seligen Nacht zu vorgerückter Stunde diese Idee bekommen, am nächsten Tag in vollem Drag über die Christopher Street zu spazieren. Kaspar hat es sichtlich genossen, zwischen den Autos zu tänzeln und dabei im Zentrum meiner Kameraoptik zu stehen. Mit dem Licht hatten wir großes Glück, herbstlicher Spätnachmittag, so ein Licht kann man nicht bestellen, geschweige denn bei der Filmförderung beantragen. Also -generell- ich mache sehr viele Aufnahmen in dieser Art - also spontan; nicht alles ist dann auch für einen Film zu verwenden. Aber es entsteht so ein Fundus, auf den ich dann manchmal erst Jahre später zurückgreife.

filmgarten:
Hast Du eine bestimmte Vorstellung von Film, die Du in allen Deinen Projekten zu realisieren suchst? Oder empfindest Du jeden Film als etwas völlig Neues? Was hältst Du generell vom Genre 'Kurzfilm'? Worin siehst Du seine Funktion im Vergleich zum Langfilm? Wo holst Du Dir die Inspiration für Deine Projekte? Was sind Deine Quellen? Persönliche Erfahrungen, Zeitungsartikel etc.?

MB:
Natürlich entstehen nicht alle meine Filme auf diese Art spontan. Aber das freie unabhängige Arbeiten ist mir in höchstem Maße wichtig. Das heißt vor allem, nach der inneren Uhr zu arbeiten und nicht nach Produktionsvorgaben, Sendeterminen und Businessplänen. Ich hatte zum Beispiel auch mal eine sehr konkrete Kurzfilm-Idee mit detailliert ausgearbeitetem Drehbuch, - von der Bildvorstellung her insgesamt ein 35mm-Projekt. Ich habe mich damit auch in die Warteschleifen der Filmförderung eingereiht, bin aber überall abgeschmettert worden. Aber von meiner Denkungsweise bzw. von der Film-Idee her war mir von vornherein klar, daß es diesen Film geben wird, so oder so, ob nun mit Geld oder ohne. Schließlich ist es ein 16mm-Film geworden und ist nur dem Enthusiasmus der vielen Mitarbeiter zu verdanken und natürlich einer gehörigen Portion Selbstausbeutung. Aber es ist immer eine große Genugtuung -für mich und für die Mitarbeiter-, wenn der Film trotz aller Widrigkeiten fertig wird und man sich das Filmemachen nicht hat vermiesen oder verbieten lassen. Eine Idee zu einem Film muß das auch aushalten. Obwohl es natürlich wünschenswert wäre -gerade auch in der Förderlandschaft, wenn einem Kurzfilm der gleiche Stellenwert zugemessen würde wie einem Langfilm, mit der Konsequenz, den Kurzfilm nicht immer nur als Nachwuchsförderung oder Talentwettbewerb anzusehen, sondern als ganz eigenständige und vollwertige Kunstform.

filmgarten:
Welche deutschen Filme der letzten Jahre gehören zu Deinen Favoriten? Was hältst Du generell von der deutschen Filmproduktion der letzen Jahre? Woran glaubst Du liegt es, dass andere europäische Länder, wie z. B. England und Frankreich, mehr Erfolge beim eigenen Publikum feiern? Was muß Deiner Meinung nach gemacht werden, damit der deutsche Film einen Aufwind erlebt?

MB:
Das größte Problem des deutschen Films liegt in dem herrschende Verständnis des Films als Wirtschaftsgut. Wenn die Leute ins Kino gehen, wollen sie aber kein Wirtschaftsgut präsentiert bekommen; so sehen aber die deutschen Filme heutzutage aus. Handwerklich 1A (made in germany), maschinell vorgekaut und leicht bekömmlich (aus deutschen Landen frisch ins Gesicht). Film ist aber in erster Linie ein kulturelles Gut. Das ist gar nicht so einfach zu begreifen: Film ist Kultur! Das geht ins Grundverständnis: Film ist Kultur. Das wissen auch schon viele Regisseure, Drehbuchautoren und sogar Schauspieler nicht mehr: Film ist Kultur. Das kann man nicht kaufen und verkaufen! Das kann man nicht essen! Das kann man nicht produzieren: das wächst! Das ist da! Man muß da nur aufpassen, daß man da nicht drauftritt. Wildwuchs pflegen! - Kurz: je vielfältiger man diese Kultur gewähren läßt, umso anregendere und inspirierendere Blüten wird das treiben. Und Vielfalt heißt: Mut zu Extremen! Es muß einfach mehr riskiert werden.

(Senta Siewert, Interview zu »NY 'NY 'n why not«,
Publikumsfestival-Gewinnersite, Januar 2001,
http://www.filmgarten.com/puftxt_win.html)

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monografischer Artikel | monographic review
Ulrich Wegenast, "Zum zehnten Mal..." (»NY 'NY 'n why not«), Pressetext zur Premiere, Februar 1999


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