.
Interview | interview

DAS PORTRÄT

Interview mit MB
von Christian Find am 04. August 2015
RBB Kulturradio, Radio-Sendung vom 15.08.2015


Das Berliner O-Tonart-Theater in Schöneberg lädt im August zum „Regenbogen-Sommer“ ein, eine Zeitreise durch 30 Jahre Geschichte der alternativen Tunten- und Travestieszene, mit Show, Theater und Film. Gezeigt werden auch die Kurzfilme auf Super-8 von Filmemacher Michael Brynntrup. Er ist Filmemacher und Professor für Film und Video. Unser Autor Christian Find hat ihn in seiner Wohnung in Berlin-Neukölln besucht, und stellt ihn uns vor.


CF:
„Alle Macht der Super 8“ - Wenn Michael Brynntrup an die Zeit zurückdenkt, in der seine Bilder laufen lernten, fällt ihm sofort dieser Slogan ein. Es waren die 1980er Jahre, die Zeit der Westberliner Hausbesetzerszene, in der er sich zu Hause fühlte. Damals, so erzählt er, habe man viel mit Super-8 experimentiert.

MB:
Es waren ja insgesamt 164 Häuser besetzt. Und in 20 Häusern gab’s eben Kinos, eigene Kinos, die dann zum Teil auch gerade diese Super-8- Filme gezeigt haben. Wo man sich traf, wo eine gewisse Szene einfach zu Hause war.

CF:
Die Super-8-Kameras habe man sich einfach aus dem Schrank der Eltern geholt, erzählt Brynntrup. Denn Papa drehte seine Familienfilme ja schon mit der neuen VHS-Kamera, die kaum erschwinglich war. Super-8 war viel billiger und eben noch richtiger Film. - Und Super-8 war definitiv Underground.

MB:
Underground, das hat was mit Schmutz und Schund zu tun und Dreck, Trash. Und das finde ich ganz gut, weil das ist dicht am Leben, das ist die Basis des Lebens sozusagen, dass es sich im Dreck, im Wasser, im Modder entfaltet.

CF:
Brynntrup begann, seine Eindrücke mit der Kamera festzuhalten und aus dem Material kurze Filme zu produzieren, in denen er sich selbst und seine Sicht auf die Welt inszenierte. Dieses Prinzip hat er sich bis heute erhalten.

MB:
Ich fange immer direkt bei mir persönlich an. Wenn die Arbeiten vielleicht dokumentarisch sind, dann sind es Dokumentationen über Freunde. Oder ich krame in meinem hinteren Hirnkästchen einfach so nach Dingen, die dann natürlich auch unmittelbar für mich stehen.

CF:
Auch heute hat er seine Kamera immer dabei, mittlerweile ist es ein digitaler Fotoapparat.

MB:
Grad gestern war ich beim Optiker und hab den Optiker dann auch gefilmt, wie er mich da sozusagen einen Sehtest absolvieren lässt.

CF:
Nächtelang kann er zu Hause sitzen und das Material sichten, ordnen und archivieren. Langweilig wird ihm dabei nicht.

MB:
Ich lebe vor allem nachts. Also wenn ich ganze Nächte ohne Limit arbeiten kann, dann sind das im Grunde die glücklichsten Momente, ja?

CF:
Manchmal entsteht dabei die Idee zu einem neuen Film. Immer geht es ihm um Tabus und Grenzerfahrungen, um Themen, die ihn selbst verunsichern und bei denen er etwas hinzulernen kann. Wie damals, als er sich stark mit dem Tod und dem gesellschaftlichen Umgang mit der Trauer auseinandersetzte.

MB:
Die ersten Filme, die ich gemacht habe, die ersten 10, 15, dabei war es mir ganz wichtig, dass immer eine Szene auch auf einem Friedhof stattfindet. Zu meiner Studentenzeit war ich Sargträger in der Nachbarschaft hier, auf den Friedhöfen in Neukölln. Und daraus hat sich dann zum Beispiel ein konkreter Film ergeben, dieser Film „Plötzlich und unerwartet, eine Déja-Revue“, der jetzt ja auch gezeigt wird, und der als Ganzes ausschließlich auf dem abgezirkelten Terrain eines Friedhofs spielt. Die Idee dazu kam bei meinem Job auf dem Friedhof.

(Ausschnitt aus dem Film „Plötzlich und unerwartet - eine Déja-Revue“)
Wir sind hier und heute zusammengekommen um unseren guten Freund zu seiner letzten Ruhe zu geleiten. Unser Freund hatte noch viele Pläne, - sein ganzes Leben lag noch vor ihm. Er rechnete nicht mit diesem vorzeitigen Ende, ...
[parallel] ... ein Hott und Hüh, -äh- das Leben ist ein stetes Auf und Ab. Sein Grab ist uns Mahnung und Auftrag zugleich. Sein Tod ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang.


CF:
„Plötzlich und unerwartet“ - dieser Satz war in damaligen Todesanzeigen gang und gäbe. Der Kurzfilm beschreibt auf surreale und groteske Weise das alltägliche Geschäft mit dem Tod.

(Ausschnitt aus dem Film „Plötzlich und unerwartet - eine Déja-Revue“)
In solchen Momenten fragen wir nach - Sinn, ...
[parallel] ... Liebe Gemeinde, unser Freund ist tot.


CF:
Noch heute schwört Brynntrup auf den kurzen Film. Er findet, nach wie vor bietet dieses Format die größte Freiheit und Unabhängigkeit, ganz ohne große Filmförderung und aufwändigen Mitarbeiterstab. Das erzählt er auch seinen Studierenden immer wieder.

MB:
Sich den Freigeist bewahren, das ist das Wichtigste. Umso mehr, wenn, wie heutzutage, rundherum ein ökonomischer Druck vorherrscht. Klar, wir hatten auch damals ökonomischen Druck, ja, und mussten jobben. Das war alles nicht einfach in so einem Alter zwischen 20 und 30. Aber sich die Freiheitsräume zu erhalten und auch zu erkämpfen, das ist auch heute noch extrem wichtig. Also selbst die Initiative zu ergreifen.


(RBB Kulturradio, Radio-Sendung vom 15.08.2015 - Christian Find)

.

Linkliste 'Interviews' | link list 'interviews'
bio/monografische Einzel-Interviews | bio/monographic single interviews
Linkliste 'Biografisches' | link list 'biographics'
biografische Interviews und Artikel | biographic interviews, reviews and articles
Linkliste 'Monografisches' | link list 'monographics'
monografische Interviews und Artikel | monographic interviews, reviews and articles


PRESSE-CLIPS | PRESS CLIPS
kurze Auszüge aus der Presse | short excerpts from the press


BIBLIOGRAPHIE | BIBLIOGRAPHY
Einzel-Interviews und -Pressestimmen | single interviews, reviews and articles