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Interview | interview

Interview mit MB, Auszug zu den »Totentänzen 1-8«
von Steff Ulbrich am 4.3. und 12.3.1989


Steff Ulbrich:
354, die Zwölfte. Ja Michael, ich habe in den letzten Jahren in deinen Filmen zunehmend eine Aneignung des Totenkopfes beobachtet. Das fängt an mit einer Serie von Fotokopien eines Paßbildes von dir, bei denen durch eine wiederholte Vergrößerung schließlich ein Totenkopf in deinem Auge sichtar wird. Geht dann über »Testamento Memori«, wo du einen Totenkopf fickst, bis hin zu den »Totentänzen«, die schon in eine Art Manie ausgeartet sind, wo du den Totenkopf unter die Leute bringst. Für mich war die Interpretation: du predigst den Totenkopf.

MB:
Wie provozierend, aber du fängst wirklich hinten an.

Steff Ulbrich:
Das wollte ich auch.

MB:
Für mich ist Tod schon ein Thema, nie das einzige Thema, es ist schon ziemlich früh angelegt und zieht sich eigentlich durch alle Filme, aber es gibt auch andere Sachen, bei denen ich Wert darauf lege, daß sie in jedem Film vorkommen. Zum Beispiel das Motiv Hand habe ich auch mit Absicht in jedem Film drin, das symbolisiert etwas für mich.

Steff Ulbrich:
Ist der Totenkopf auch ein Symbol für dich?

MB:
Ein Symbol als Nicht-Symbol. Ein Symbol ist immer etwas ganz konkretes, ein rotes Kreuz zum Beispiel. Der Totenkopf steht z.B. für Gift, aber Hilfe! Ich sehe ihn nicht so einseitig als Nur-Symbol für eine mystische Weltanschauung, er ist für mich gerade deshalb interessant, weil er als Symbol von verschiedenen Seiten aufgeladen wird. Der Totenkopf ist, nebenbei gesagt z.B. ein beliebtes Requisit in Mal-Akademien, oder immer wieder ein Modezeichen, Leute haben sich den an Kettchen gehängt, in eigentlich allen Jugendmoden ist der Totenkopf immer stark vertreten, bei den Rockern, bei den Skins, bei den Punks. Das heißt für mich, das es ein Symbol für etwas ist, das man schlecht anders fassen kann. Eine Provokation, andererseits ein Anbeten oder Ranzitieren von einem Zustand, den man nicht weiter erklären kann: die Sache Tod, das geht jeden an, jeder bemüht sich, den Tod in den Griff zu bekomen, wenn es sein muß als Ohrclip, aber die Beschäftigung damit ist flächendeckend und übergreifend. Ich benutze den Totenkopf ja nicht mit einer eindeutigen Aussage, ich gebrauche ihn mehr als Stimmungsanreiz, ich spiele damit. Er hat eben die schöne Doppeldeutigkeit von total ernst und garnicht ernstzunehmend. Da wird auf jeden Fall eine Emotion angesprochen, aber auch ein Rationalismus im gleichen Motiv.

Steff Ulbrich:
Wie entwickelst du die Ideen zu den Totentanz-Filmen? Sind das Ideen, die du alleine hast, bei denen du von anderen verlangst: hier, mach' das so und so, oder denkst du dir das anhand von irgendwelchen Personen aus oder denkst du dir das mit den Darstellern aus?...

MB:
(...) Bei solchen Episodenfilmen wie der »JESUS« oder jetzt die »Totentänze« guck ich mir natürlich vorher die Leute an und laß mich auch von ihnen inspirieren. Ichgola z. B. (in: »Der Hieronymus, Totentanz 6«) kenne ich von der Bühne, von ihren Auftritten als Tunte, und dann kenne ich sie auch privat ganz gut und merke, sie hat ähnliche Dinge im Kopf, ähnlich groteske, verdrehte Sachen wie ich auch und witzig dabei auch und. - Also wir hatten uns überlegt, einen dreckigen, kleinen Film zu machen, einen Totentanz mit viel Fleisch und blutig und ein skurriler Mensch sollte das sammeln. Ich war natürlich noch vorher am Schlachthof und habe mir Schweineaugen geholt und noch ein paar Schlunde, aber der eigentliche Film passierte dann ziemlich plötzlich, wie das gute Wetter. Wir haben uns bei Ichgola getroffen, sie hat eine echte Wunderkammer, ein Kuriositätenkabinett als Wohnung, wir haben diese und jene Gegenstände zurechtgelegt, die Maske gemacht und wußten noch garnicht wo wir drehen. Stadtplan aufgeschlagen, mit einer Mauer drumherum ist das natürlich auch sehr begrenzt, interessante Drehorte zu finden, vor allem wenn das Thema 'Natur' ist. Also haben wir uns die kleinen, blauen Flecken auf dem Plan rausgesucht, kleine Tümpel und sowas. Jedenfalls haben wir zielstrebig einen blauen Fleck angesteuert, allerdings nicht gefunden, weil es wohl nur ein Druckfehler war auf der Karte, dann haben wir uns ein bißchen durchgefragt und zwischen Häusern, enger Bebauung einen Tümpel gefunden, der wiederum nicht auf der Stadtkarte verzeichnet war und dort haben wir die Sache gedreht und wenn man sich das anguckt, wirkt es wie in völliger Einsamkeit, ein Moorgebiet, endlos Natur bis zum Horizont, aber es war so, daß man mit geschicktem Blickwinkel alle Strommasten und Leitungen ausblenden mußte. So ist der Totentanz mit Ichgola entstanden. Die Geschichte hat sich mehr oder weniger vor Ort entwickelt. So ähnlich auch die anderen Totentänze. Ort, Handlung und Zeit, das ist eine Situation, ein Einblick, der noch Phantasie zuläßt: was ist denn das überhaupt, was macht der denn da, wo lebt der,- das ist nicht Geschichtenerzählen im Sinne von Einführung, Personen vorstellen, dann trifft er noch wen, dann haben sie zusammen einen Auftrag zu erfüllen oder was weiß ich, also da gibt es bei mir keine Erzählung.

Steff Ulbrich:
Du bist ja nicht nur Filmemacher, sondern machst auch Copyart und hast Kunstgeschichte studiert. Wie ist denn der Zusammenhang zwischen den Totentänzen und den mittelalterlichen »Totentänzen« herzustellen?

MB:
Wie die Super-8-Kamera hier zur Hand liegt, liegen natürlich auch die vorgefertigten Geschichten wie »Jesus« und »Orpheus« oder schon bekannte Filme wie »Un Chien Andalou«, siehe »Handfest« zur Hand. Es ist soviel schon da, man kann sich da einfach mit Genuß reinstürzen und bei einem ikonografischen Topos wie den Totentänzen weiß eigentlich letztlich jeder worum es geht: König, Bauer, Bettelmann, jedem wurde der persönliche Tod beigesellt, das ist deswegen für mich interessant, weil es erst in einem erwachenden Individual-Bewußtsein entstehen konnte. Vorher gab es nicht den individuellen Tod, nur Standeszünfte waren überhaupt darstellenswert, jetzt erst traten überhaupt Einzelschicksale ins Bewußtsein. Die Menschen haben da erst angefangen, sich selbst zu erkennen. Das ist auch ein Schwerpunkt meiner Arbeit, dieses selbstreflexive Moment, daß man über sich selbst nachdenkt, nicht nur über sich selbst als Person, sondern auch womit man sich befaßt. So sehe ich auch den Experimentalfilm als eine Art Meta-film, jeder Experimentalfilm, auch die Totentänze, machen auch eine Aussage über Film als Medium. Insofern ist da der Totenkopf ein Platzhalter für Individual-Bewußtsein und Selbstreflexivität.

(...)

Steff Ulbrich:
Was ist denn eine schwule Ästhetik für dich?

MB:
Oder sagen wir mal konkret, was in meinen Filmen in diese Richtung passiert. Homosexualität steht nie ganz ausdrücklich im Vordergrund, wie aber auch in jedem meiner Filme nie nur eine Sache thematisch ist es kommen immer viele Sachen da rein. Und das macht dann vielleicht auch aus, weshalb die Filme in den Programmen so gut zusammen passen. Also, wenn ich einen Film mache, denke ich auch daran, daß da gewisse schwule Momente drin sind. Z.B. (...) in diesen »Totentänzen«, die ich eigentlich für recht schwul halte, gerade im Zeichen von AIDS... allerdings war mir z.B. bei diesem »Totentanz 3« mit Antoine (Strip-Pickles) von vornherein garnicht klar, erst als einige Leute das vermutet haben, daß es eigentlich ein schwuler Liebesfilm ist, auch wenn da mit einem Totenkopf hantiert wird.

Steff Ulbrich:
Die Frage war jetzt mehr nach schwuler Ästhetik und nicht nach schwulen Inhalten.

MB:
Form und Inhalt müssen sich bedingen, beide müssen in einem sinn-vollen Zusammenhang stehen, sinn-voll heißt für mich: die Sinne ansprechen, wie auch sinnig den Kopf ansprechen. Schwule Ästhetik greift wohl eher bei den Totentänzen, ich kann mich da schwer ausdrücken, beschreibe mal so ein Bild aus den Totentänzen, das macht auf einer anderen Ebene Wirkung als irgendwie so ein gesprochenes, geschriebenes Wort 'Homosexualität'...

(...)

MB:
Als ich noch keine Filme gemacht habe, hab ich auch schon immer gerne Totenköpfe gemalt, - das hat auch etwas mit diesem erwachenden Individual-Bewußtsein zu tun, was mich im übrigen auch schon immer als soziohistorisches Phänomen interessiert hat, darum auch meineVorliebe für Manierismus, weil das genau die Zeit ist, wo das Individuum erwacht, um es kurz zu machen. Bei mir ist es dann die pubertäre Phase gewesen, wo bei mir persönlich selbstverständlich sehr viel passiert ist. Und so wie ich in der Zeit mit meiner Hand konfrontiert worden bin und die so als mein Ich, als Spiegel meines Ichs kennengelernt habe, so hab ich mich zu der Zeit natürlich auch gefragt "Wo führt das alles hin" und in der Phase fängt man dann auch an, über den Tod nachzudenken. Ich bin persönlich nie mit dem Tod eines mir nahestehenden Menschen konfrontiert worden, und das war dann der Auslöser oder so etwas, sondern eher über eine philosophisch-theoretische Überlegung. Es gibt viele Leute / Künstler, die beziehen sich in ihrem ganzen Tun, auch wenn sie 60 sind, auf ihre Kindheit, weil da die entscheidenden Klingelzeichen gegeben worden sind, und so ähnlich wird sich das bei mir wohl auch verhalten.

(...)

Steff Ulbrich:
Du hast eben schon kurz auf den Manierismus angespielt.

MB:
Den Manierismus halte ich für die interressanteste Kunstepoche überhaupt. Interressant daran ist für mich die Abkehr vom Formalismus, vom Akademismus, die Abkehr von Weltanschauungen, die der Natur und der Wahrnehmung Gesetze überstülpen wollen. Z.B. ganz bildlich: die Zentralperspektive, dieser Zentralismus, der wird plötzlich ad absurdum geführt. Interessant ist, daß der Manierismus sich eigentlich definiert über das, was er ablehnt, also zunächst mal negativ. Aber was am Manierismus positiv zu Ausdruck kommt, ist eben der Bllck auf die Vielseitigkeit eines Menschen oder auf die Komplexität der Welt, was bei der Zentralperspektive eben ausgeblendet ist, alles hat seinen Platz unter diesem Gitternetz. Beim Manierismus werden die Proportionen frei gewichtet, und da kommt viel stärker der freie Geist zum Ausdruck, die Phantasie.

Steff Ulbrich:
Wo kommt denn in deinen Filmen die Phantasie zum tragen?

MB:
Vor allem, so hoffe ich doch, in den Köpfen der Zuschauer. - In meinen Filmen, naja, wohl im Spielerischen, auch Wortspiele, freie Assoziationen. Ganz deutlich wird das vielleicht beim Schnitt, wo ich gerne Sachen aneinanderknalle, die erstmal nix miteinander zu tun haben.

Steff Ulbrich:
Interressant wird es in deinen FiImen aber besonders dann, wenn sie sehr geschlossen wirken.

MB:
Mir kommt es immer darauf an, die Sachen auch zu brechen. Eine Kurve, die ich aufbaue, auch wieder kippen zu lassen. Bei den Totentänzen, die wohl am ehesten geschlossen wirken, sehe ich das eigentlich auch so, nur daß es hier nicht durch einen Schnitt kippt, also nicht durch so einen konkreten, präzisen Gedankenblitz sich ins Gegenteil verkehrt, sondern da versuche ich den Film eher emotional durch eine elegante Hirnwindung zum Drehen und zum Kippen zu bringen. Ein gutes Beispiel ist der »Totentanz 3«, der funktioniert ja so, daß zwei Bilder übereinander geblendet sind und bei dem einen passiert die Handlung, die emotional mitvollzogen wird, und im zweiten kreisen diese Totenköpfe, und kreisen, und kreisen, und kreisen - und das ist doch eigentlich lustig.

Oder bei dem Ichgola-»Totentanz« passiert einfach so etwas unverschämt-skurriles, daß man der Handlung wohl mit Interesse folgt, aber wenn dann der Film vorbei ist, man nur noch den Kopf schüttelt und sich wundert, was war denn jetzt, was war denn das überhaupt, das hat mich zwar angesprochen, aber mit meinem Kopf, mit meinem perspektivischen Denken, mit meinem Netz- und Schubladensystem, mit dem komm ich hier jetzt nicht weiter. Wenn dem Zuschauer dann die Geschichte rückblickend als banaler Müll vorkommt, und er sich diese Banalität als solche vergegenwärtigt, dann ist der Film eigentlich auch ein Witz, ist das schräg!, das ist dann eigenlich auch schon genug.

Steff Ulbrich:
Du findest es wichtig, witzig zu sein und schräg, und das ist dann auch genug.

MB:
Nee, da die Leute auf einem ganz komplizierten Weg hinzuführen, auf einem Weg, den die erst im Nachhinein begreifen, auf einem faszinierenden Weg zu diesem Erkenntnisstand. Also ich will hier jetzt nicht eine Aussage treffen, wo mit Argumenten irgendwie geantwortet werden kann, und was dann erst noch ausdiskutiert werden muß, und wo dann noch ein gemeinsamer Entschluß gefaßt wird. Alles nicht das, was eigentlich die Stabilität des ganzen Systems ausmacht. Sondern einfach auf einen Bereich im Menschen, in jeder Subjektivität hinweisen, wo eben andere Dinge zählen als Worte.

Steff Ulbrich:
Dankeschön,...

MB:
...bitteschön.

(Interview mit Michael Brynntrup, von Steff Ulbrich, translated and printed in: BERLIN - Images in Progress, Contemporary Berlin Filmmaking, Edited by Jürgen Brüning and Andreas Wildfang, Hallwalls / Buffalo,1989)

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