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Pressestimmen | reviews and articles

Brynntrup-Filme über den Sensenmann
Der schreckliche, tanzende Tod
von Mario Stumpfe


Selbst der Tod ist heute verkommen, ist ein Zustand, eine Metapher, ein Nichts ohne ursprüngliche Bedeutung, das aus unseren aufgeklärten Gemütern ausgeputzt scheint. Der Tod, das sei nichts Existentielles. versucht man uns einzureden, denn wir können uns vor ihm schützen, können ihn überlisten, dank der Medizin, der Politik, der Wirtschaft, der Moral, der UNO... Der Tod ist positiv besetzt in zweierlei Hinsicht: Zum einen so positiv wie der Glauben an den universellen Fortschritt, und zum anderen positiv wie der Aids-Test.

Der Tod, das war einmal die Bewegung über ein Ende hinaus, war der Verlust des Körpers und der Gewinn der Seele. Gegenwärtig findet der Tod wohl eher im Leben statt, sind die Körper schon vor dem Sterben in den Kliniken des Geistes und der kontaktlosen Sicherheit, mit der sich die Leiber begegnen, vermodert. Ohne es zu merken, hat der Tod das Leben unterjocht, hat sein Geheimnis aufgegeben.

Zu diesen oder ähnlichen Gedanken könnte Michael Brynntrups Revue »Totentänze« hinreißen, eine philosophische, unerhört lustvolle, sinnliche 'Performance' auf 8 bzw. 16mm Film. Brynntrups Sinnen auf und gegen den Tod konfrontiert die Zuschauer mit dem Knochenmann in allen möglichen und unmöglichen Situationen, verleiht dem großen Angstmacher grotesk-komödiantischen, geheimnisvollen Charme und verwebt seine vielen Gestalten in loser Folge von Bild- und Handlungssequenzen. Der Tod als persönliches Geheimnis schaufelt sich sein Grab selbst. Die ihn berührenden Personen gehen meditativ mit ihm um, nehmen das Sterben öffentlich ernst, kalkulieren es als Möglichkeit ein, sehen in ihm ein Ergebnis körperlich bekennenden Lebens. Dadurch verlieren Leben und Tod ihren gemeinsamen Schrecken. Der Tod kann tanzen und er schützt das Leben. Irgendwo eingetaktet in die »Totentänze« findet sich »Plötzlich und Unerwartet«, ein Mehrfachschnitt durch eine Trauerfeierlichkeit. Brynntrup seziert den eigentlichen Akt des Tränenkullerns, des Gedenkens an den teuren Toten. Durch mehrere Veränderungen und Überblendungen der zeitlichen und örtlichen Koordinaten entsteht die Vermutung, daß jede Friedhofszeremonie Ergebnis eines Mordkomplotts lüsterner Angehöriger oder raffgieriger Beerdigungsunternehmer ist.

Der Tod tritt als Maske auf, die sich unterschiedslos über verschiedene Gesichter stülpen läßt. Jeder liebäugelt mit dem schrecklichen Todesantlitz, vielleicht, um einmal zu erschrecken, um eine einzige Wirkung auf andere Menschen gehabt zu haben. Aber auch die provozierte Angst vor dem Tod erweist sich nur als Ekel vor seiner häßlichen, schmutzigen Gestalt, vor dem anderen, als der er der Norm des Lebens gegenüber steht. Der Tod ist tabu, weil er nicht in die sauberen Straßen paßt, er ist verdammt, ausgesondert in die begrenzte Zone Friedhof, genauso wie der Kranke am besten interniert gehört oder Homosexuelle als Randgruppe in der heterosexuell normierten Gesellschaft definiert werden.

(Neues Deutschland, 18.11.93 - Mario Stumpfe)

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Pressestimmen | reviews and articles
DER ELEFANT AUS ELFENBEIN (Totentänze 1-8) | THE IVORY ELEPHANT (Death Dances 1-8)
Pressestimmen | reviews and articles
PLÖTZLICH UND UNERWARTET: DER ELEFANT AUS ELFENBEIN | SUDDEN AND UNEXPECTED: THE IVORY ELEPHANT
Pressestimmen | reviews and articles
PLÖTZLICH UND UNERWARTET - eine Déjà-Revue | SUDDEN AND UNEXPECTED - A Déjà-Revue


Interview | interview
Steff Ulbrich, interview with MB, excerpt on »Dances of Death«, printed in:
BERLIN - Images in Progress, Contemporary Berlin Filmmaking, Buffalo, 1989

Interview | interview
Steff Ulbrich, Interview mit MB, Auszug zu den »Totentänzen 1-8«, translated and printed in: BERLIN - Images in Progress, Contemporary Berlin Filmmaking, Buffalo, 1989
Interview | interview
Mike Hoolboom "Death, Obsession + Cinema (part one)", interview on »Death Dances«,
Independent Eye, N°11, Toronto, Spring 1990

monografischer Artikel | monographic review
Mike Hoolboom, "The Death Dances of Michael Brynntrup", printed in:
Millenium Film Journal N°30/31: Deutschland / Interviews, New York, Fall 1997