monografischer Artikel | monographic review

Plötzlich und unerwartet – Interaktives Computerspiel
von Anne-Kathrin Auel


Ein kleines Skelett leitet durch das Computerspiel des in Berlin lebenden Künstlers Michael Brynntrup, das die Themen Tod und Bestattungsvorsorge umkreist. Während zufallsgesteuerte Szenen aus Brynntrups experimentellem Kurzfilm „Plötzlich und unerwartet – eine Déjà Revue“ (1993) ablaufen, weist das animierte Skelett den Spieler auf verschiedene Aufgaben hin.So kann er beispielsweise versuchen, auf einer Orgeltastatur ein Lied aus dem Film nachzuspielen. Die Aufgaben werden mit insgesamt 214 Knochen belohnt, so dass nach erfolgreichem Spiel ein virtuelles Skelett zusammengesetzt werden kann. Ist dies komplett, sieht der Gewinner seine eigene Beerdigung ablaufen. Dabei wird berücksichtigt, was im Spiel für die eigene Bestattung als wichtig erachtet wurde – zum Beispiel Blumenschmuck. Ab einer gewissen Knochenanzahl kann man bereits eine eigene Sterbeurkunde ausdrucken. „Plötzlich und unerwartet – ein Mitspielfilm“ verbindet Informationen über Bestattungsformen, Totenkult und Patientenverfügung mit unterhaltsamen Elementen. Darüber hinaus wird spielerisch auf das Thema Organspende hingewiesen und die Möglichkeit gegeben, einen Spendeausweis auszudrucken.

Der experimentelle Kurzfilm

Der Film, auf dem das Computerspiel basiert, spielt im Bestattungsinstitut Ernst und auf dem daran angrenzenden Friedhof. Frau Ernst (Mara Mattuschka) informiert bei einer Bestattungsvorsorge-Beratung Egon Hettemann (Udo Kier) und kommentiert dabei die Auswahl an Schleifentexten: „Es muss nicht immer ‚Plötzlich und unerwartet’ sein.“ Als Frau Ernst ihrem Kunden das Probeliegen im Sarg anbietet, reißt eine Person mit Totenkopfmaske die Tür auf. Der Maskierte rennt weg und wirft die Maske auf den Friedhof, wo sie ein Junge aufhebt. Die ständig ihren Besitzer wechselnde Maske zieht sich wie ein roter Faden durch den Film.

Rückwärts ablaufende Beerdigungen

Im Film finden die Beerdigungen rückwärts statt: Der Sarg wird aus dem Grab gezogen und der Redner fordert die Trauergemeinde auf, vor dem Sarg herzugehen. Der Junge geht jedoch auch bei der rückwärts ablaufenden Bestattung hinter dem Sarg her, schließlich hat er den Tod in Form der Maske unter seiner Jacke versteckt. Wie hoch der Anteil an Floskeln innerhalb einer Trauerrede sein kann, wird an dieser Stelle überspitzt gezeigt: „Unser Freund ist nicht von uns gegangen, er ist nur voraus gegangen. Auch ein kurzes Leben muss mal enden. Und so weiter, und so weiter.“ Die Filmhandlung ist von Zeitverschiebungen, Wiederholungen und Perspektivwechseln durchzogen und endet mit der Scene des Probeliegens im Sarg, mit der die Handlung eingeleitet wurde. Der Tod ist dabei als Maske ständig präsent.

Vom Film zum Spiel

Bei der Weiterentwicklung des Films zum Spiel ging es dem Künstler nicht darum, den zum Spieler gewordenen Zuschauer in einer virtuellen Realität versinken zu lassen. Im Vordergrund stand für ihn, dazu anzuregen, über den eigenen Tod nachzudenken. Brynntrup sagt, dass sein Spiel ein Bild von Sterben und Tod als natürlichem Bestandteil des Lebens vermitteln will, den es zu akzeptieren und mit dem es sich schon zu Lebzeiten zu beschäftigen gilt. Zurzeit entwickelt der Künstler auf Grundlage der CD-Rom-Version eine Online-Variante des Spiels, die im nächsten Frühjahr starten wird. Dies geschieht im Rahmen eines künstlerischen Forschungsvorhabens am Institut für Medienforschung der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, wo Michael Brynntrup im Fachgebiet Film und Video lehrt. Durch die Online-Version kann das Spiel erweitert werden, so dass beispielsweise in Zusammenarbeit mit interessierten Bestattungsinstituten durchaus auch reale Gewinne wie Bestattungsvorsorgeverträge vergeben werden können. Während man selbst nicht mehr wahrnehmen wird, ob die eigene Beerdigung tatsächlich dem entsprach, was man sich virtuell erspielte, kann man sich immer noch auf das Déjà-vu-Erlebnis konzentrieren, das der eigene Tod in Gang setzen wird. Ob unser Leben dann chronologisch oder ebenfalls zufallsgesteuert an uns vorbeiziehen wird?

(Anne-Kathrin Auel, "Plötzlich und unerwartet - Interaktives Computerspiel", bestattungskultur, Das Magazin des Bundesverbandes Deutscher Bestatter e.V., Jahrgang 59, Heft 8, August 2007)

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