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Pressestimmen | reviews and articles

Jesus klebt!
von Wiglaf Droste

'Monumentalfilm über den Lebens- und Leidensweg unseres Herrn Jesus Christus', kurz: »Jesusfilm« (im Forum-Programm)


Die Surrealisten haben das Spiel erfunden, die meisten haben es schon einmal selbstgespielt: zu einem vorher fest umrissenen Thema schreibt man einen Satz, zeichnet oder malt man einen Bildanfang auf ein Stück Papier, knickt es um und gibt es an den nächsten weiter, der ebenso verfährt, usw. Ist die Runde der Mitspieler durchlaufen, wird das Papier aufgeknickt und das oft nur lose-assoziativ verbundene Gesamtergebnis betrachtet.

Nach diesem Prinzip der 'Écriture automatique' haben 24 Super8-Filmer und Gruppen, u.a. Jörg Buttgereit, Die Tödliche Doris und Michael Wehmeyer vom Sputnik-Kino die Idee Michael Brynntrups realisiert, in fast einjähriger Co-Produktion das Leben und Leiden Christi neu auf Super8-Material zu verfilmen. Eine frische, witzige und überraschende Film- und Textcollage ist entstanden, die dem ausgeweideten Thema zumindest neue Betrachtungsweisen abgewonnen hat.

Die scheiternde Überquerung eines großartig als 'Meerbusen' ausgegebenen Swimming-Pools im sofort sinkenden Pappboot anstelle eines übers Wasser wandelnden Jesus gab es bisher ebensowenig wie einen brotscheibenspuckenden Toaster als Synonym der wunderbaren Brotvermehrung zu bestaunen. Neben reichlich skurrilem Slapstick finden sich in vielen Beiträgen Anspielungen auf religiöse Sexualmoral - wer glaubte, dies Thema sei mit den 70er Jahren verschwunden, irrt. Religion wird zumindest solange und immer dort ein fesselndes Thema sein, wie und wo sie Schäden anzurichten vermag. Dennoch ist der »Jesusfilm« frei von hehren aufklärerischen Ansprüchen. Antiklerikalität, Atheismus, religiöser Kitsch, Satire und Nonsens werden spielerisch gemixt. Der Film bringt es einmal selbst auf den Punkt: "Selig aber sind, die da nichts glauben und doch etwas fühlen". Oh ja.

Michael Brynntrup spielt den Schmerzensmann Jesus mit einer angenehmen Mischung aus pathetischen Klischees und ironischer Distanz. Wie er es schafft, in nur einer kurzen Einstellung das Martyrium als persönliche Eitelkeit darzustellen, hat mir sehr gut gefallen, wenn ich mir auch wenigstens in einem Beitrag einmal einen feisten, speckig-fetten Jesus gewünscht hätte. Der Film lebt außer von Überraschung, Tempo und seiner Bewegung von seinen Darstellern und ihren persönlichen Vorlieben. So tobt Jörg Buttgereit seine Vampirismus-Manie ebenso fröhlich aus wie die Sputnik-Crew ihre Gewaltphantasien. Bei der Himmelfahrt zum orginal »Raumschiff-Orion«-Countdown hätte ich mir allerdings noch ein paar schöne Bilder von der Challenger-Explosion vorstellen können. Der Film, bei dem der Spaß seiner Hersteller ganz im Vordergrund steht, weist zwar im Ansatz einige Ähnlichkeiten mit Monthy Python's »The Life of Brian« auf, ist aber in gerade durch sein Arbeitsprinzip der assoziativen Verknüpfung keine Neuauflage dieser Jesus-Verarsche. Außerdem ist ein zweieinhalb Stunden langer Super8-Film, der durch einen Zusammenschnitt mehr verlöre als gewönne, an sich schon eine Sensation. Jesus Christ Antistar.

(die tageszeitung, Berlin, 15.02.86 - Wiglaf Droste)

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Bibliographie zu »Jesus - der Film« | bibliography on »Jesus - The Film«


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