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Pressestimmen | reviews and articles

Jesus – Der Film | Restauriert und digitalisiert
von Laila Oudray


Kaum sind die Feiertage erledigt, haben wir bereits den ultimativen Filmtipp für Weihnachten 2015 – oder wahlweise auch für Ostern. Die nicht gerade alltägliche Alternative zu „Der kleine Lord“: „Jesus – Der Film“, ein echtes Stück deutsches Experimentalkino von 1986, das jetzt dank der Unterstützung von SDK, FFA (Sektion „Filmisches Erbe“) und der DEFA-Stiftung in einer restaurierten und digitalisierten Fassung vorliegt. Am 17. Dezember wurde sie im Berliner Filmhaus in Anwesenheit von Initiator Michael Brynntrup, Mitstreiter Jörg Buttgereit und anderen Beteiligten erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Erzählt wird über 127 Minuten hinweg die überaus frei interpretierte Lebens- und Leidensgeschichte des Herrn in insgesamt 35 disparaten Episoden, die von 22 unterschiedlichen Regisseuren und Künstlergruppen aus beiden (damaligen) Teilen Deutschlands auf Super8 gedreht wurden. Die einzige Kontinuität bieten Projektkoordinator und Hauptdarsteller Brynntrup als Jesus sowie einige sonstige Darsteller.

Entstanden war die Idee zu dem Kollektivwerk Anfang Dezember 1984 im Umfeld des (heute längst nicht mehr existenten) Bonner Experi-Nixperi-Festivals. Brynntrup hatte sein Coming-Out gerade hinter sich, und die ersten Festivals zeigten seine filmischen Arbeiten. Rückblickend deutet er die Idee zum Jesusfilm deshalb auch als seinen eigenen „Advent“ – vermutlich ein Grund, sich selber in der Titelrolle zu besetzen. Zurück in Berlin begann er damit, Briefe an befreundete Regisseure und Künstler aus der Super8-Szene (damals noch eine Weltanschauung) zu schicken, in denen er ihnen seinen Plan erläuterte: Gemeinsam sollten sie das Leben Jesu so erzählen, wie es nicht an der Sonntagsschule gelehrt wird.

Anstatt eine durchgehende Geschichte über den Heiland zu erzählen, waren die Beteiligten dazu angehalten, einen Flickenteppich aus Episoden zu erstellen, völlig unabhängig voneinander und in eigener Interpretation – ganz im Geiste des surrealistischen „Cadavre Exquis“ (einer spielerischen Methode, den Zufall in die Kunst einfließen zu lassen). Keiner von ihnen sollte wissen, was genau vor und nach der eigenen Episode geschehen würde. Als einzigen Anhaltspunkt würde es eine Beschreibung der jeweiligen Anschlussszene geben.

Ebenso abenteuerlich wie das Konzept gestaltete sich auch die Produktion. Der gesamte Film wurde in Schwarzweiß auf russischen Super8-Kassetten gedreht, die Brynntrup immer wieder aus und in die DDR schmuggelte, um sie an die Beteiligten zu verteilen (bis zu 10 Stück â 3 Minuten). Aus Kostengründen entwickelten die Filmemacher das Material selbst – mit der Folge, dass Teile beschädigt wurden oder Szenen gänzlich verloren gingen. Dass die chaotischen Umstände des einjährigen Drehs auf diese Weise zwar ungewollt, aber doch sichtbar in das Endergebniss einflossen, trägt nicht unbedeutend zum eigentümlichen Charme des Films bei.

Eine Handlungswiedergabe fällt angesichts der spezifisch collagenhaften Machart nicht leicht. Zu Beginn steht selbstverständlich die jungfräuliche Empfängnis und am Ende die Wiederauferstehung des Heilands. Dazwischen allerdings kann man schon einmal den Überblick verlieren. Die bekanntesten Stationen im Leben Jesu wie seine Taufe, sein Rückzug in die Wüste und das letzte Abendmahl finden zwar ihren Platz, doch weichen sie (und andere Episoden) teilweise dramatisch von den Vorlagen des Neuen Testaments ab.

So wird Maria Mutter von Zwillingen, die durch die heiligen drei Könige voneinander getrennt werden, so dass sich der Film nur auf das Leben desjenigen konzentriert, der bei seinen Eltern bleibt (möglicherwiese ein biografischer Hinweis auf Brynntrups eigenen Zwillingsbruder, der bei der Geburt starb, zugleich aber auch ein Echo des apokraphen Thomas-Evangeliums).

Während des gesamten Films wird Jesus von verschiedenen Evangelisten begleitet, die als Agenten im Hintergrund die Fäden zu ziehen scheinen (und dabei passenderweise mit Trenchcoats ausgestattet sind). Beim letzten Abendmahl schließlich findet Jesus – wie schon seine Mutter vor ihm – Gefallen am Geschmack von Blut und wird mithilfe der Heiligen Veronika zum Vampir. Wenig vorlagengetreu erlangt er so trotz Kreuzestod die Unsterblichkeit.

Auch nach fast drei Jahrzehnten besticht dieser seltsame Kollektivfilm durch Originalität, skurrile Wendungen, stilistische Vielfalt und teils völlig absurde Variationen des Ursprungsmaterials. Versuche, die Vorlage in den Episoden wiederzuerkennen, müssen immer wieder kläglich scheitern. Das ist zwar anstrengend, zugleich aber ein echtes Vorzeigebeispiel für das kreative Potential des hiesigen Undergroundkinos der 80er Jahre.

Parallel zum Re-Release ist ein bilinguales Materialbuch unter dem wenig missverständlichen Titel „Jesus – Der Film – Das Buch“ erschienen. Frühzeitig hatte Brynntrup (seit 2006 Professor für Film/Video an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig) seine Notizen zu Film und den Dreharbeiten in einer Art Konvolut zusammengefasst, das er treffend als „JesusTabu“ (als Abkürzung für „Tage-Buch“) bezeichnet. Die vom Berliner Verlag Vorwerk8 besorgte Sammlung beinhaltet zudem die ursprünglichen Briefe an die Beteiligten, Bilder von den Dreharbeiten, Requisiten, „Missionstourneen“ und anderes mehr.

Die restaurierte Fassung des Films soll im Laufe des Jahres auf mehreren Festivals zu sehen sein. Nächste Gelegenheiten sind der Filmwinter Stuttgart (15. bis 18. Januar) und das Internationale Filmfestival Rotterdam (21. Januar bis 01. Feburar).

(screen/read - webzine für Film & Kino, 30.12.2014 - Laila Oudray)

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