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Pressestimmen | reviews and articles

Monument im Kleinformat
von Eraserhead

Ein sicherer Kandidat für den Cecil B. DeMille-Preis:
24 Super8-Filmer nahmen sich des Neuen Testamentes an.
Ihr »Jesusfilm« ist im Forum zu bewundern.



"Er hat ein - knallrotes Gummiboot...". So tönt der bekannte deutsche Schlager lautstark im Hintergrund, als 'Jesus' die Fischer trifft, die biertrinkend im Schlauchboot auf einem der Berliner Seen umherpaddeln. "Habt ihr nichts zu trinken?", fragt er und sie antworten frech. "Nein!", die Flasche in der Hand.

In einer Fußgängerzone sitzt Jesus auf einem Stühlchen und fördert aus einem altertümlichen Toaster ein um das andere verkohlte Weißbrot hervor. Wie ein Flugblattverteiler bietet er den Vorüberhastenden die Ware an. Viele lehnen ab, die anderen werfen die eklig-schwarzen Scheiben zu Boden. Ein Saustall entsteht auf dem Trottoir. Ein Wunder als Filmtrick.

Vom Eiligen Geist in die Wüste geschickt, begegnet 'Jesus' der Teufel in Gestalt eines harmlosen Wanderers. Brot wird Stein und auf ein Fingerschnipsen des Versuchers erscheinen die Reiche der Welt auf dem Laufsteg. Im Arm schöner Frauen bemerkt 'Jesus' seine unmanikürten Fingernägel und bricht zusammen. Sein von Engeln beflügeltes Wiedererwachen bringt den Teufel dem Abgrund ein Stückchen näher. Die allgegenwärtigen 'Agentostel' freuen sich am reibungslosen Gang der Geschichte bis zur unvorhergesehenen Wendung.

Drei Episoden aus dem 'Monumentalfum über den Lebens- und Leidensweg unseres Herrn Jesus Christus' - so jedenfalls bezeichnet Michael Brynntrup seine Filmidee, an deren Realisierung 24 Super8-Gruppen - Filmer und Nichtfilmer mitgewirkt haben. Ironisch genug, einen 'Monumentalfilm' auf dem winzigen Format zu drehen. Ironisch auch weitgehend der Tenor dieses Versuchs, eine allsattsambekannte Geschichte neu zu erzählen. Religionssatire ist angesagt. Dabei besteht das Umwerfende dieser Arbeit, die über ein Jahr beanspruchte, weniger in der witzig-frechen Verfremdung der Jesusgeschichte. Revolutionär ist vielmehr die Produktionsmethode. Die Vorgehensweise wurde aus der 'ecriture automatique' der Surrealisten gewonnen. Ein "Spiel mit gefaltetem Papier, in dem es darum geht, einen Satz oder eine Zeichnung durch mehrere Personen konstruieren zu lassen, ohne daß ein Mitspieler von der jeweils vorhergehenden Mitarbeit Kenntnis erlangen kann" (Breton).

Die absolute Zufälligkeit der Beiträge dieses Spiels, das auch 'cadavre exquis' ('köstlicher Leichnam') genannt wird (nach einem prototypischen Beispielsatz) wurde in unserem Falle einem Minimum an Organisation geopfert. So spielt etwa in fast allen Episoden Michael Brynntrup den Jesus. Dies war absolut notwendig, um tatsächlich einen zusammenhängenden Spielfilm zu produzieren, der im Resultat immerhin 145 Minuten lang wurde. Die Mitspieler konnten sich eine oder mehrere Teilgeschichten des Neuen Testaments aussuchen. Diese Teilgeschichten von der Verkündigung bis zur Himmelfahrt wurden dann als Grundstruktur für den Gesamtfilm genommen.

Gleichzeitig gibt das Werk einen Überblick über das Schaffen des Super8-Untergrunds in Gesamtdeutschland. Vertreten sind München, Köln, Bonn, Düsseldorf, Ost-Berlin, West-Berlin und Hamburg. Nicht zuletzt stammt das Orwo-Filmmaterial aus der DDR. Nur zwei Episoden fallen aus dem Rahmen des Matthäus-Evangelium heraus: die Ausgießung des Heiligen Geistes und eine ultrakurze Verfilmung der bei den Sekten so populären Johannes-Apokalypse. "Und ich hörte eine Stimme vom Himmel abermals mit mir reden und sagen: Gehe hin, nimm das offene Büchlein von der Hand des Engels... und ich nahm das Büchlein von der Hand des Engels und verschlang es." Zu diesen Worten verschlingt Verleger Peter Gente ein Merve-Bändchen, wobei ihm Partnerin Heidi Paris als Engel gegenübersteht. Höchst seltsam, wie dieser Film überhaupt. Stimmung wird wohl in jedem Fall bei dieser geballten Humorpartie über ein geheiligtes Thema aufkommen. Verletzung der christlichen Glaubensgefühle hin und her - der Rezensent fühlte sich angenehm amüsiert und jedenfalls fühlte sich sein Gesäß anschließend 'monumental'.

(berlinale-tip Nr.1/86, Berlin, Februar 1986 - Eraserhead)

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monografischer Artikel | monographic review
Wiglaf Droste: "Jesus klebt!", die tageszeitung, Berlin, 15.02.86

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Bernd Kegel: "Der Toaster und das Abendmahl", Bielefelder Stadtblatt, 10.07.86

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Alexandra Jacobsen: "Das Neue Testament als Super8-Monumentalfilm"
Neue Westfälische Bielefeld, 11.07.86

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Bärbel Jäschke: "Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen"
RIAS 1 'KIRCHENFUNK', Radio-Sendung vom 11.07.86

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tom: "Mysteriöses Mysterium", Nürnberger Zeitung, 31.07.86

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Wolfgang Luck: "Jesus lebt!", Communale Heidelberg, 13.11.86

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Peter Keough: "»Jesus: Der Film« is silly, sublime", CHICAGO SUN-TIMES, May 22, 87

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Andreas Wildfang, "Jesus pre Digitales", ARTS in Buffalo, vol 1 N°24, 15.12.88

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Gero von Goell: "Jesus - der Film", Babsies Diktatur, Ausgabe 13, Januar 2004

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Silvia Hallensleben, "Missionieren im Super-8-Format", die tageszeitung, 04.09.2014

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Adolf Stock: "Jesus - der Film, Super-8-Film mit Kreuzigung als Splatter-Episode"
Deutschlandradio Kultur 'Religionen', Radio-Sendung vom 21.12.2014

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Laila Oudray, "Jesus – Der Film | Restauriert und digitalisiert", screen/read - webzine für Film & Kino, 30.12.2014

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Martin Ostermann, "Totgesagte leben länger", FILM-DIENST, Nr.9/2015, Mai 2015



JESUS-BIBLIO | JESUS BIBLIO
Bibliographie zu »Jesus - der Film« | bibliography on »Jesus - The Film«


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