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Interview zu »JESUS - DER FILM«
von Hans Daiber, Radio-Sendung vom 12.10.86

Doch zuallererst Michael Brynntrup aus Berlin und sein »Jesusfilm«, 140 Minuten Irritation im Namen des Vaters und des Sohnes, - wes Geistes werde ich zu erfragen versuchen. - {Musik}


Daiber:
Michael Brynntrup aus Berlin, Jahrgang 1959, in Münster geboren, bereist in diesen Tagen unsere Gegend, um seinen »Jesusfilm« zu zeigen, gestern Abend war er in Essen, und jetzt ist er im Studio. - {Musik aus 'Himmelfahrt'}
Ein schöner Anfang, aber im Film ist es eher das Ende. Es handelte sich um das Countdown zur Himmelfahrt. Geplant und durchgesetzt hat dieses Projekt Michael Brynntrup. - Herr Brynntrup, erzählen Sie doch bitte die Entstehungsgeschichte Ihres Films.

MB:
Jo, also die Idee dazu habe ich schon vor über einem Jahr bekommen. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, was eigentlich ausschlaggebend war für die Idee. Auf jeden Fall war es kurz vor Weihnachten als mir der Film so in den Sinn kam. Und, naja, eine andere Entstehungsidee war halt, daß ich einen Episodenfilm machen wollte, der die ganze Vielfalt eines Episodenfilms besitzt, der aber auch nicht in Einzelfilme auseinanderfällt, sondern eben eine durchgehende Geschichte erzählt. Überhaupt mal zu testen, ob das geht. Ist ja klar beim Filmen, daß einer Kamera macht, einer das Licht, usw. Alle haben mal eine Idee zum Film, alle tun was dazu. Warum dann die Leute nicht einladen, eine eigene Episode für den Film zu machen.

Daiber:
Auch Kamera und Regie wechselte von Episode zu Episode?

MB:
Ja, ziemlich stark. Ich glaube, ich kenne keinen anderen Film, wo das so stark wechselt, und zwar sind ja 20 Gruppen, Super8 Gruppen, und einzelne Filmemacher aus der Bundesrepublik, aus Ost- und Westberlin beteiligt. Da kann ich mal ein paar Namen nennen, zum Teil schon bekanntere Namen, also hier in der Gegend ist Düsseldorf und da die Anarchistische Gummizelle, oder in Köln selbst: Birgit und Wilhelm Hein, schon erfahrenere Experimentalfilmer, und Schmelzdahin in Bonn, und so verschiedene, hauptsächlich aber Berliner.

Daiber:
Und das es also Jesus wurde und nicht Marx oder DeSade, oder Friedrich der Große oder der Kleine, das lag an Weihnachten, oder?

MB:
Was mich konkret dazu bewogen hat, kann ich gar nicht sagen. Mir fallen eigentlich immer nur Stereotypen ein: Sozialisationsgeschichten, wo komme ich her, aus Münster, sehr katholischer Flecken, oder andererseits bimmeln halt überall die Glocken, die Kirche ist also ziemlich allgegenwärtig.

Daiber:
Es gibt ein Durcheinander oder Hin-und-Her, scheint mir, von Frömmigkeit und Mutwille in diesem Film, man denkt manchmal, er meint es ernst: Monumentalfilm über den Lebens- und Leidensweg 'Unseres' Herrn Jesus Christus, ein starker religiöser Touch, und daß Umgangssprache gesprochen wird: "Guckt nicht so doof, er ist auferstanden". - klar, und dann wieder Sachen, wo ich sage, der hat's doch ironisiert.

MB:
Ich erinnere mich nicht, ob wir es am Anfang schon erwähnt haben: der ganze Film ist ja auf Super8 gedreht, und einen Monumentalfilm auf Super8 zu drehen, entbehrt ja nicht einer gewissen Komik, würde ich mal so sagen.

Daiber:
Ja da ist schon Ironie, Selbstironie.

MB:
Also so sollte man den Film auch sehen und verstehen. Mit vollem Ernst läßt sich ja heute nichts mehr sagen zu diesem Thema. Also für mich ist dieser Film weder ein tiefes, religiöses Glaubensbekenntnis, noch irgendeine blasphemische Provokation. Jedenfalls von der Absicht her. Für mich ist das mehr ein Spiel, ein Spiel mit Stoffen, Motiven, Mythen, meinetwegen auch ein ernstes Spiel, aber nicht mehr, aber auch nicht weniger. Jedenfalls darf man nicht erwarten, daß es jetzt wirklich ein ganz erbauliches Bibelwerk ist, was man da zu sehen bekommt, das ist es allein schon von der Form her nicht.

Daiber:
Aber die Form erklärt ja eigentlich nicht, daß im Stall zu Bethlehem Zwillinge geboren werden, und Josef sagt zu einem der drei Könige: "Nehmt den Kleinen mit, den Großen wollen wir behalten."

MB:
....jo das sind Verfremdungen, äh....

Daiber:
Also ich habe geschmunzelt, der Einzug in Jerusalem unter dem Narhallamarsch, oder der Auferstandene reckt sich und gähnt, nicht wahr, bevor er nun aufersteht, - und ein Moment, der ist dann ja doch gewagt, beim Letzten Abendmahl, der hebt das Brot empor, so eine Weißbrotstulle, und sagt dazu, "Hokus-Pokus, abra cadabra"...

MB:
Also das ist eine Episode wo ich ganz verantwortlich zeichne, also die kommt von mir. Und. Für mich hatte dieser ganze Film insgesamt einen Experimentalfilmcharakter in dem Sinne, Worte, das Wort der Worte zu bebildern. Ob das überhaupt möglich ist, das hinterfragt ja Experimentalfilm sowieso, was ist Film, etc. Also in diesem Falle lautete das Problem ungefähr: wie macht man eine Literaturverfilmung im Zeichen des Bilderverbots. - Bei diesem Hokus-Pokus ...

Daiber:
....wenn Sie sagen, es ist Mutwille, ist es ok, nich, ich frag ja nur, was ist es denn....

MB:
Also ich fand es mal ganz interessant -unabhängig von dem Film- zu erfahren, daß dieses Hokus-Pokus abgeleitet ist von diesem lateinischen Wort 'Hoc est corpus meum'.

Daiber:
Das wissen Sie doch, das haben Sie mit im Kopf gehabt, somit sind sie völlig gerechtfertigt, theoretisch...

MB:
...insofern fand ich es auch recht witzig, das mal drastisch darzustellen.

Daiber:
Denn 'Hoc est corpus meum' heißt also, nicht wahr, das ist zu Hokus-Pokus geworden in der Umgangssprache, etymologisch ist es völlig korrekt.

MB:
Exakt.

Daiber:
Ich frage mich, inwieweit hat die Armut, denn Sie sind ja nun junge Leute und drehen nur auf Super8, den Stil bestimmt, wieweit ist es wohl und wieweit ist es übel so geraten sozusagen, wenn Sie mehr Geld gehabt hätten, hätten Sie es ganz anders gemacht?

MB:
Ehrlich gesagt nicht. Klar, mit mehr Geld wäre es ein anderer Film geworden, aber es war eben kein Geld da, also ist der Film so wie er ist. Mir lag aber auch gerade daran, bei dem Stoff die Frische der Super8 zu haben, daß man damit handlich, ziemlich unkompliziert, ohne Schlange zu stehen bei Drehbuchförderung -naja, Drehbuch war ja geschrieben- also seine Ideen direkt umsetzen kann. Diese Spontaneität war mir ziemlich wichtig, um damit eben ohne übertriebene Künstlichkeit auf so Momente wie Zeitgeist, geistiger Querschnitt zu sprechen zu kommen.

Daiber:
Diese Armut, Armseligkeit ist ja wohl auch ein Stilelement, diese Zwischentitel, die wilden Schnitte, gelegentlich ist es verzappelt, mal über- und unterbelichtet, die Tonqualität ist manchmal so lala, und das erinnert so an die Steinzeit des Kinos. Ich frage mich, ist das nicht überhaupt gewollt - oder schmeichle ich Ihnen hiermit?

MB:
Nene, das wurde schon häufiger so gesehen, daß eben ganz viel Stummfilmzitate auftauchen in dem Film.

Daiber:
Einmal heißt es ja ganz hübsch, die Verklärtheit wird durch eine Unschärfe angedeutet, wenn auch nicht immer die Unschärfe Verklärtheit ausdrückte in dem Film.

MB:
Auf jeden Fall, das stimmt. Zufälle werden da einfach mit eingearbeitet, das was man dann gedreht hat, wird - so wie es kommt verwand. Es ist eben ziemlich einfach, mit Super8 zu drehen. So ein Film entsteht eigentlich erst hinterher beim Schnitt. Da wird dann collagiert, hin- und hergeschnitten, da kommen neue Ideen. Eigentlich werden dann mehr die Aufnahmen bearbeitet, als vorweg der Inhalt.
Ich möchte aber noch eins sagen, was auch auf diese Zufälle und Armut im Kino zu sprechen kommt, also das Material haben wir ja aus Kostengründen aus der DDR geschmuggelt, einmal natürlich aus Kostengründen -wie gesagt- und das andere Mal, um den Film eben doch in einem einheitlichen Glanz oder Nicht-Glanz erscheinen zu lassen. Das ist extrem grobkörniges SchwarzWeiß-Material, macht Schlieren und wir haben es z.T. selbst entwickelt mit allen Fehlern und Mängeln, das macht den Film aber in meinem Augen formal irgendwie geschlossener.

Daiber:
..und macht ihn anders als die anderen, nicht nur indem es technische Schwächen hat. Wir haben ein Scenchen parat, Jesus kommt in Tegel an, wird ins Taxi verfrachtet, nicht wahr, so ist die Situation, es geht wohl zu Dreharbeiten, er soll da die Bergpredigt aufsagen und muß den Text noch memorieren, richtig angerissen?

MB:
Ja genau.

Daiber:
Das ist aus Berlin überspielt worden, der Kollege vom SFB - technische Normen gewöhnt - distanziert sich davon, wir werden es gleich mal hören:

SFB: Also liebe Kollegen beim WDR, jetzt kommt die SP null eins null neun acht sieben, das ist ein Umschnitt von einem 8mm-Perfoband, was nicht auf einer 8mm-Perfobandmaschine ausgeführt wurde, sondern auf einem ganz normalen Schnürsenkelgerät und das jault und kratzt, überlegt Euch mal, ob ihr überhaupt davon was nehmt, ja?

{Dialogscene aus 'Bergpredigt' von Andreas Wildfang}

Daiber:
Jesus fährt zur Bergpredigt. - Wie sind die Erfahrungen mit dem Publikum?

MB:
Ja wie gesagt befinde ich mich zur Zeit auf einer Tournee durch die Bundesrepublik, und spiele also in ganz unterschiedlichen, - vor ganz unterschiedlichem Publikum, das geht los in einem Nachtcafé nach Mitternacht oder so wie das gestern war in Essen in der Volkshochschule.

Daiber:
Alte Leute rennen raus, junge Leute freuen sich?

MB:
Kann man eigentlich sagen. Wenn man es jetzt verkürzen muß, kann man sagen, daß die Leute, die bis zum Ende dringeblieben sind, denen hat's gefallen, meist, und die, denen es eher gereicht hat, die verlassen dann auch den Saal, manchmal etwas polternd.

Daiber:
Also bei allen Vorbehalten, ich finde es gut, daß Sie den Film gemacht haben, daß Sie ihn so gemacht haben. Ich habe mich in diesen 140 Minuten nicht gelangweilt, ich hab' mal den Kopf geschüttelt, ich hab' mal gegrinst, ich hab' mal genickt. Wo sind Sie in den nächsten Tagen?

MB:
{Termine etc.}

Daiber:
Michael Brynntrup, herzlichen Dank, viel Glück für Sie und den Film.

MB:
Danke auch Ihnen.

{Musik, Musik}

(Hans Daiber, Interview zu »JESUS - DER FILM«,
WDR 'BUDENGASSE', Radio-Sendung vom 12.10.1986)

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